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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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Gewicht hatte keiner von ihnen irgendwelche besonderen Erkennungsmerkmale. Die drei Frauen waren alle Anfang Dreißig, gut angezogen und sorgfältig geschminkt. Sie hätten auf dem Heimweg von einem Klassentreffen sein können, wenn man davon absah, daß sie jede für sich saßen und nicht den Eindruck machten, als würden sie sich kennen. Überhaupt schienen alle diese Leute Fremde zu sein, die nur rein zufällig auf ein und denselben Bildschirm schauten. Es fand keinerlei Austausch von Meinungen oder Blicken oder sonstigen Verständigungszeichen statt.
    Ich saß etwas abseits von den Leuten und verfolgte eine Zeitlang die Sendung. Die Nachrichten interessierten mich nicht sonderlich - ein Gouverneur durchschnitt bei der Einweihung einer neuen Straße ein Band, irgendwelche Kindermalkreiden, die, wie man festgestellt hatte, eine gesundheitsschädliche Substanz enthielten, wurden ins Werk zurückgerufen, in Asahikawa war ein Bus voll Touristen auf dem Weg in ein Thermalbad während eines schweren Schneesturms infolge vereister Fahrbahn und schlechter Sichtverhältnisse gegen einen Lastwagen geprallt: der Lkw-Fahrer war ums Leben gekommen, und etliche Touristen hatten Verletzungen davongetragen. Der Sprecher las die Nachrichten mit gedämpfter Stimme nacheinander ab, als teilte er lauter Luschen aus. Ich dachte an das TV-Gerät im Haus von Herrn Honda, dem Wahrsager. Das war auch immer auf NHK eingestellt gewesen.
    Die Nachrichtenbilder, die da über den Äther kamen, erschienen mir zugleich sehr real und völlig unwirklich. Ich empfand Mitleid mit dem siebenunddreißigjährigen Lkw-Fahrer, der bei dem Unfall ums Leben gekommen war. Niemand verendet gern mit zerrissenen inneren Organen in einem Schneesturm in Asahikawa. Aber ich war mit dem Lkw-Fahrer nicht persönlich bekannt, und er wußte nichts von mir. Und so hatte mein Mitleid mit ihm nichts Persönliches. Ich empfand nur eine ganz generelle Trauer wegen des plötzlichen, unnatürlichen Todes eines Mitmenschen. Diese allgemeine Empfindung konnte bei mir überaus echt und zugleich nicht im mindesten echt sein. Ich wandte die Augen vom Bildschirm ab und ließ sie noch einmal durch die große leere Halle schweifen. Es waren keine Hotelangestellten zu sehen, und die kleine Bar war noch geschlossen. An der Wand hing lediglich ein großes Ölgemälde, das einen Berg darstellte. Als ich mich wieder dem Bildschirm zuwandte, war darauf in Nahaufnahme ein vertrautes Gesicht zu sehen - Noboru Watayas Gesicht. Ich richtete mich im Sessel auf und konzentrierte mich auf die Worte des Nachrichtensprechers. Noboru Wataya war etwas zugestoßen, aber ich hatte den Anfang der Meldung verpaßt. Bald verschwand das Foto, und es erschien der Reporter vor Ort. Er trug einen Schlips und einen Mantel und stand mit einem Mikrophon in der Hand vor dem Eingang eines großen Gebäudes.
    »… in die Klinik der Tokioter Medizinischen Hochschule für Frauen eingeliefert worden, wo er sich gegenwärtig auf der Intensivstation befindet, aber wir wissen nicht mehr, als daß er seit dem Überfall durch einen Unbekannten, bei dem er eine Schädelfraktur erlitt, das Bewußtsein nicht wiedererlangt hat. Die Krankenhausleitung hat es abgelehnt, eine Stellungnahme zur Schwere der Verletzungen sowie eine Prognose abzugeben. Ein detaillierter Bericht über seinen Zustand soll zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht werden. Vom Haupteingang der Klinik der Tokioter Medizinischen Hochschule für Frauen berichtete …« Und damit wurde ins Studio zurückgegeben, wo der Sprecher einen Text abzulesen begann, der ihm gerade auf den Tisch gelegt worden war. »Nach neusten Meldungen hat der Abgeordnete Noboru Wataya bei einem versuchten Anschlag auf sein Leben schwere Kopfverletzungen davongetragen. Heute morgen um elf Uhr dreißig drang der junge Täter in Watayas Büro im Tokioter Stadtbezirk Minato ein und verabreichte dem Abgeordneten vor den Augen einiger Personen, die sich zu dieser Zeit im selben Zimmer befanden, mit einem Baseballschläger mehrere kräftige Hiebe, wobei er ihm schwere Kopfverletzungen zufügte.« Auf dem Bildschirm erschien das Gebäude, in dem sich Noboru Watayas Büro befand.
    »Der Mann hatte sich am Empfang als Besucher des Abgeordneten ausgegeben und konnte den Schläger in einer langen Papp-Versandröhre ins Büro schmuggeln. Zeugen berichten, der Mann habe den Schläger sofort aus dem Papprohr gezogen und sei ohne Vorwarnung auf sein Opfer losgegangen.« Auf dem Bildschirm

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