Mister Aufziehvogel
Würde es Ihnen um ein Uhr passen?«
»In Ordnung«, sagte ich.
»Sie wird pünktlich sein«, sagte Malta Kano und legte auf. Kreta Kano?
Ich ging mit dem Staubsauger durch die Wohnung und räumte ein bißchen auf. Ich bündelte unsere alten Zeitungen und warf sie in einen Wandschrank. Ich steckte lose herumliegende Kassetten in ihre Hüllen und stellte sie neben der Stereoanlage in einer Reihe auf. Ich spülte das schmutzige Geschirr, das sich in der Küche stapelte. Dann machte ich mich selbst gesellschaftsfähig: duschen, Haarewaschen, saubere Sachen. Ich brühte frischen Kaffee auf und aß zu Mittag: ein Schinkensandwich und ein hartgekochtes Ei. Ich setzte mich aufs Sofa, blätterte im Home Journal und überlegte, was ich für heute abend zu essen machen könnte. Ich kreuzte das Rezept für Seetang-und-Tofu-Salat an und schrieb mir die Zutaten auf einen Einkaufszettel. Ich schaltete das Radio ein. Michael Jackson sang »Billy Jean«. Ich dachte an die Schwestern Malta Kano und Kreta Kano. Was für Namen für zwei Schwestern! Sie klangen wie ein Komikerduo. Malta Kano. Kreta Kano. Mein Leben entwickelte sich zur Zeit eindeutig in einige neue Richtungen. Der Kater war weggelaufen. Ich hatte merkwürdige Anrufe von einer merkwürdigen Frau erhalten. Ich hatte ein seltsames Mädchen kennengelernt und angefangen, mich bei einem leerstehenden Haus herumzutreiben. Noboru Wataya hatte Kreta Kano vergewaltigt. Malta Kano hatte prophezeit, daß ich meinen Schlips wiederfinden würde. Kumiko hatte mir gesagt, ich bräuchte nicht arbeiten zu gehen. Ich schaltete das Radio aus, legte das Home Journal in das Bücherregal zurück und trank noch eine Tasse Kaffee.
Schlag ein Uhr klingelte Kreta Kano an der Tür. Sie sah genauso aus wie auf dem Foto: eine kleine Frau von Anfang, Mitte Zwanzig, ein stiller Typ. Den Look der frühen sechziger Jahre hatte sie bemerkenswert gut hinbekommen. Sie trug das Haar toupiert, wie ich es auf dem Foto gesehen hatte, und unten nach außen gewellt. Das Haar war von der Stirn straff zurückgekämmt und wurde durch eine große glitzernde Spange festgehalten. Ihre Augenbrauen waren scharf mit Stift nachgezeichnet, Mascara verlieh ihren Augen geheimnisvolle Schatten, und ihr Lippenstift hatte exakt die Farbe, die damals in Mode gewesen war. Sie sah so aus, als bräuchte man ihr nur ein Mikrofon in die Hand zu drücken, damit sie »Johnny Angel« losschmetterte.
Angezogen war sie weit schlichter. An ihrer praktischen, nüchternen Kleidung war nichts exzentrisch: eine weiße Bluse, ein enger grüner Rock und so gut wie keine Accessoires. Sie hielt eine weiße Lacklederhandtasche unter dem Arm und trug spitze weiße Pumps. Die Schuhe - winzig, mit Absätzen so dünn und scharf wie Bleistiftminen - sahen wie Puppenschuhe aus. Ich hätte ihr beinahe dazu gratuliert, daß sie es auf den Dingern bis hierher geschafft hatte. Das also war Kreta Kano. Ich bat sie herein, ließ sie auf dem Sofa Platz nehmen, wärmte den Kaffee auf und schenkte ihr eine Tasse ein. Ob sie schon zu Mittag gegessen habe, fragte ich sie. Ich fand, sie sah hungrig aus. Nein, sagte sie, sie habe noch nicht gegessen.
»Aber machen Sie sich bitte keine Mühe«, fügte sie hastig hinzu. »Ich esse mittags kaum etwas.«
»Sind Sie sicher?« fragte ich. »Ich bringe Ihnen gern ein Sandwich. Nur keine falsche Bescheidenheit. Ich mach andauernd irgendwelche Snacks und so. Es ist wirklich überhaupt keine Mühe.«
Sie antwortete darauf mit kleinen ablehnenden Kopfbewegungen. »Es ist äußerst liebenswürdig von Ihnen, aber danke, es ist wirklich nicht nötig. Machen Sie sich bitte keine Umstände. Eine Tasse Kaffee ist mehr als genug.« Trotzdem brachte ich für alle Fälle einen Teller Kekse mit ins Wohnzimmer. Kreta Kano aß vier davon, und zwar mit sichtlichem Genuß. Ich aß zwei und trank meinen Kaffee aus.
Nach den Keksen und dem Kaffee wirkte sie etwas entspannter. »Ich bin heute als Beauftragte meiner älteren Schwester Malta Kano hier«, sagte sie. »Kreta ist natürlich nicht mein richtiger Name. Eigentlich heiße ich Setsuko. Den Namen Kreta habe ich angenommen, als ich anfing, als Assistentin meiner Schwester zu arbeiten. Für berufliche Zwecke. Kreta heiße ich zwar nach der Insel, aber mit Kreta habe ich eigentlich nichts zu tun. Ich bin noch nie dort gewesen. Meine Schwester hat den Namen ausgesucht, weil er zu ihrem eigenen paßte. Waren Sie zufällig schon einmal auf der Insel Kreta, Herr Okada?«
Leider
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