Mister Aufziehvogel
gerade mit Kumiko am Frühstückstisch.
»Es ist mir wirklich äußerst peinlich, Sie so früh am Morgen zu belästigen. Ich hoffe sehr, ich habe Sie nicht geweckt«, sagte Herr Mamiya aufrichtig bedauernd. Das mache überhaupt nichts, versicherte ich ihm: Ich würde jeden Morgen kurz nach sechs aufwachen.
Er dankte mir für meine Postkarte und erklärte, er habe mich erreichen wollen, bevor ich zur Arbeit aus dem Haus ging, und fügte hinzu, er wäre mir äußerst dankbar, wenn ich mich heute während meiner Mittagspause kurz mit ihm treffen könnte. Er hoffe, noch diesen Abend einen Schnellzug nach Hiroshima nehmen zu können. Er habe eigentlich vorgehabt, länger hierzubleiben, sagte er, aber es seien gewisse Ereignisse eingetreten, die seine möglichst baldige Heimkehr erforderlich machten. Ich antwortete, daß ich gegenwärtig arbeitslos sei, daß ich den ganzen Tag Zeit hätte und ihn treffen könne, wann immer es ihm passe, vormittags, mittags, nachmittags.
»Aber Sie werden doch zweifellos den einen oder anderen Teil des Tages bereits anderweitig verplant haben?« erkundigte er sich mit der größten Höflichkeit.
Ich erwiderte, ich hätte keinerlei Pläne.
»Hätten Sie in diesem Falle die Güte, mir zu gestatten, Sie heute vormittag um zehn Uhr in Ihrem Heim aufzusuchen?«
»Sehr gern.«
Erst als ich auflegte, wurde mir bewußt, daß ich vergessen hatte, ihm zu erklären, wie man vom Bahnhof aus zu unserem Haus gelangte. Was soll’s, sagte ich mir, er hat ja die Adresse; wenn er will, findet er schon her.
»Wer war das?« fragte Kumiko.
»Der Typ, der Herrn Hondas Andenken verteilt. Er bringt mir meins im Lauf des Vormittags vorbei.«
»Im Ernst?« Sie trank einen Schluck Kaffee und strich sich Butter auf den Toast. »Das ist sehr nett von ihm.«
»Ja, sehr.«
»Apropos«, sagte sie, »sollten wir - oder wenigstens du - nicht zu Herrn Hondas Haus gehen und ihm unseren Respekt erweisen: ein Räucherstäbchen anzünden, was weiß ich?«
»Gute Idee. Ich werde ihn danach fragen.«
Schon fast ausgehfertig, bat mich Kumiko, den Reißverschluß ihres Kleides hochzuziehen. Es war ein ziemlich enges Stück, und es gehörte schon ein wenig Fingerspitzengefühl dazu, den Reißverschluß zuzubekommen. Sie trug einen wunderschönen Duft hinter den Ohren - wie geschaffen für einen Sommermorgen. »Neues Parfüm?« fragte ich. Statt zu antworten warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr und strich sich das Haar zurecht. »Bin spät dran«, sagte sie und nahm ihre Handtasche vom Tisch.
Ich hatte das kleine Zimmer aufgeräumt, in dem Kumiko zu Hause arbeitete, und wollte gerade den Papierkorb leeren, als mir ein gelbes Band auffiel, das sie weggeworfen hatte. Es lugte unter einem zerknüllten Blatt Schreibpapier und ein paar Postwurfsendungen hervor. Sein leuchtendes, schimmerndes Gelb hatte mir ins Auge gestochen. Es war ein Band, wie man es für Geschenke verwendet, mit einer kunstvollen blütenförmigen Schleife. Ich holte es aus dem Papierkorb und sah es mir genauer an. Das Band war zusammen mit Geschenkpapier des Kaufhauses Matsuya weggeworfen worden. Unter dem Papier lag eine Schachtel mit dem Christian-Dior-Signet. Das gefütterte Innere der Schachtel wies eine Vertiefung in Form einer Flasche auf. Nach der Schachtel zu urteilen, war das ein ziemlich teurer Artikel gewesen. Ich ging damit ins Bad und öffnete Kumikos Kosmetikschränkchen. Darin stand eine gerade eben angebrochene Flasche Eau de Toilette von Christian Dior, die exakt in die Aussparung der Schachtel gepaßt hätte. Ich zog den goldfarbenen Stöpsel heraus und schnupperte an dem Flakon. Es war derselbe Duft, den ich hinter Kumikos Ohren gerochen hatte. Ich setzte mich auf das Sofa, trank den Rest meines Morgenkaffees und sammelte meine Gedanken. Offenbar hatte jemand Kumiko ein Geschenk gemacht. Ein teures Geschenk. Hatte es bei Matsuya gekauft und als Geschenk einpacken lassen. Wenn derjenige, der es getan hatte, ein Mann war, dann war es jemand, der Kumiko nahestand. Männer schenkten Frauen (besonders verheirateten Frauen) kein Eau de Toilette, wenn sie nicht eine ziemlich enge Beziehung zu ihnen hatten. Und wenn es eine Freundin gewesen war … Aber schenkten Frauen einander Eau de Toilette? Das wußte ich nicht so genau. Eines wußte ich aber ganz genau, daß nämlich Kumiko zu dieser Zeit des Jahres keinen besonderen Grund hatte, von anderen Leuten Geschenke zu erhalten. Ihr Geburtstag war im Mai. Ebenso unser Hochzeitstag. Es
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