Mister Aufziehvogel
mir für sehr wenig Geld vermietet habe. Unter normalen Umständen, fügte ich hinzu, könnten wir uns mit unserem Einkommen kein halb so großes Haus leisten. Er nickte und sah sich zögernd, fast verstohlen im Zimmer um. Ich folgte seinem Beispiel. Sehen Sie sich genau um, hatte die Stimme der Frau befohlen. Als ich meine Umgebung auf diese neue, bewußte Weise auf mich wirken ließ, nahm ich eine gewisse Kälte darin wahr.
»Insgesamt habe ich auf dieser Reise zwei Wochen in Tokio verbracht«, sagte Leutnant Mamiya, »und Sie sind die letzte Person, der ich ein Andenken überbringe. Jetzt habe ich das Gefühl, daß ich nach Hiroshima zurückkehren kann.«
»Ich hatte gehofft, Herrn Hondas Haus aufsuchen und vielleicht ein Räucherstäbchen zu seinem Gedächtnis anzünden zu können«, sagte ich. »Dies ist eine sehr lobenswerte Absicht, aber Herrn Hondas Haus - und jetzt auch sein Grab - befindet sich in Asahikawa, auf Hokkaido. Die Familie ist aus Asahikawa angereist, um die Dinge, die in seinem Haus in Meguro zurückgeblieben waren, zu ordnen, und jetzt ist sie wieder zurückgefahren. Es ist nichts mehr da.«
»Ich verstehe«, sagte ich. »Herr Honda lebte also allein in Tokio, fern von seiner Familie.«
»Das ist richtig. Dem ältesten Sohn, er wohnt in Asahikawa, bereitete es Sorgen, daß sein alter Vater allein in der großen Stadt lebte, und er wußte, daß es keinen sehr guten Eindruck machte. Offenbar versuchte er, seinen Vater dazu zu bewegen, zu ihm zu ziehen, aber Herr Honda lehnte es einfach ab.«
»Er hatte einen Sohn?« fragte ich etwas erstaunt. Ich hatte immer gedacht, Herr Honda stehe völlig allein auf der Welt. »Dann dürfte Herrn Hondas Frau aber schon vor längerer Zeit verstorben sein.«
»Nun, das ist eine etwas komplizierte Geschichte. Frau Honda beging nach dem Krieg mit einem anderen Mann Liebesselbstmord. Es muß 1950 oder 1951 gewesen sein. Über die näheren Umstände des Ereignisses bin ich nicht unterrichtet. Herr Honda hat nie viel darüber gesagt, und ich konnte ihn natürlich unmöglich fragen.«
Ich nickte.
»Danach kümmerte sich Herr Honda allein um die Erziehung seiner Kinder - eines Sohns und einer Tochter. Als sie alt genug waren, zog er allein nach Tokio und nahm seine Tätigkeit als Wahrsager auf- als was Sie ihn ja kennengelernt haben.«
»Was hatte er in Asahikawa denn für einen Beruf ausgeübt?«
»Er betrieb zusammen mit seinem Bruder eine Druckerei.«
Ich versuchte, mir Herrn Honda vorzustellen, wie er im Overall vor einer Druckmaschine stand und Korrekturfahnen las, aber für mich blieb er ein etwas schmutziger alter Mann in einem schmutzigen alten Kimono mit einer Gürtelschärpe, die eher zu einem Schlafgewand gepaßt hätte, der winters wie sommers mit den Beinen in der versenkten Feuerstelle saß und auf seinem niedrigen Tisch mit seinen Losstäbchen spielte.
Mit geschickten Bewegungen seiner einzigen Hand knotete Leutnant Mamiya das Stoffbündel auf, das er mitgebracht hatte. Zum Vorschein kam ein Päckchen von der Form und Größe einer Keksschachtel. Es war in braunes Packpapier eingeschlagen und mehrfach kreuz und quer verschnürt. Der Leutnant legte es auf den Tisch und schob es zu mir herüber.
»Dies ist das Andenken, das Herr Honda Ihnen durch mich zukommen lassen wollte«, sagte er.
Ich nahm das Päckchen in die Hand. Es wog praktisch nichts. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was darin sein mochte. »Soll ich es jetzt einfach auspacken?« fragte ich.
Leutnant Mamiya schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid, aber Herr Honda äußerte den Wunsch, Sie sollten es erst öffnen, wenn Sie allein wären.«
Ich nickte und legte das Päckchen auf den Tisch zurück.
»Herr Hondas Brief«, sagte Leutnant Mamiya, »erreichte mich genau einen Tag vor seinem Tod. Er lautete etwa folgendermaßen: ›Ich werde sehr bald sterben. Ich habe nicht die geringste Furcht vor dem Tod. Dies ist die Lebensspanne, die mir vom Willen des Himmels zugeteilt wurde. Dem Willen des Himmels kann sich der Mensch nur beugen. Doch es gibt etwas, was unerledigt geblieben ist. In meinem Schrank befinden sich verschiedene Gegenstände - Dinge, die ich bestimmten Personen zugedacht hatte. Nun wird es mir anscheinend nicht mehr möglich sein, sie selbst zu übergeben. Aus diesem Grunde wäre ich Ihnen außerordentlich dankbar, wenn Sie mir den Gefallen erweisen wollten, die auf der beigefügten Liste angegebenen Andenken zu verteilen. Ich bin mir der
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