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Mister Aufziehvogel

Mister Aufziehvogel

Titel: Mister Aufziehvogel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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war natürlich nicht auszuschließen, daß sie sich selbst eine Flasche Eau de Toilette gekauft und sie hübsch hatte einpacken lassen. Aber warum? Ich seufzte und sah zur Decke, Sollte ich sie direkt danach fragen? »Hast du dieses Eau de Toilette von jemandem geschenkt bekommen?« Sie würde vielleicht antworten: »Ach, das. Eins der Mädchen in der Redaktion hatte ein persönliches Problem, und ich habe ihr helfen können. Es wäre zu umständlich, dir das in allen Einzelheiten zu erklären, aber sagen wir einfach: Ich habe ihr aus der Patsche geholfen. Damit hat sie sich dann bei mir bedankt. Wunderschöner Duft, nicht? So was kostet einen Haufen Geld!«
    Okay, klingt einleuchtend. Das genügt. Nicht nötig, Fragen zu stellen. Nicht nötig, sich Gedanken zu machen.
    Bloß machte ich mir Gedanken. Sie hätte mir irgendwas davon sagen müssen. Wenn sie die Zeit gehabt hatte, in ihr Zimmer zu gehen, das Band aufzuknoten, das Geschenkpapier auseinanderzuwickeln, die Schachtel zu öffnen, das Ganze in den Papierkorb zu werfen und die Flasche in ihr Kosmetikschränkchen zu stellen, dann hätte sie es doch wohl auch schaffen können, zu mir zu kommen und zu sagen: »Guck, was mir eins der Mädchen aus der Redaktion geschenkt hat.« Sie hatte aber nichts gesagt. Vielleicht hatte sie gefunden, es sei unwichtig, sie brauche darüber kein Wort zu verlieren. Jetzt hatte es aber den dünnen Schleier von Geheimnistuerei angenommen. Das war’s, was mir zu schaffen machte. Ich starrte lange an die Decke. Ich versuchte, an etwas anderes zu denken, aber mein Kopf spielte nicht mit. Ich mußte unentwegt an Kumiko denken, an diesen Augenblick, als ich ihren Reißverschluß hochgezogen hatte: an ihren glatten weißen Rücken, an den Duft hinter ihren Ohren. Zum erstenmal seit Monaten verspürte ich das Bedürfnis, eine zu rauchen. Ich lechzte danach, mir eine Zigarette in den Mund zu stecken, sie anzuzünden und den Rauch tief in die Lunge zu ziehen. Das hätte mich etwas beruhigt. Aber ich hatte keine Zigaretten. Ich fand ein Zitronenbonbon und steckte mir das in den Mund.
    Um zehn vor zehn klingelte das Telefon. Ich nahm an, es sei Leutnant Mamiya. Dieses Haus war nicht leicht zu finden. Selbst Leute, die schon mehrmals hiergewesen waren, verliefen sich manchmal. Aber es war nicht Leutnant Mamiya. Als ich abnahm, hörte ich die Stimme der rätselhaften Frau, die mich schon neulich angerufen hatte.
    »Na, Süßer, lang nicht miteinander geplaudert«, sagte sie. »Wie hat’s dir letztes Mal gefallen? Hab ich dich ein bißchen in Fahrt gebracht? Warum hast du denn einfach aufgelegt? Und gerade, als es anfing, interessant zu werden!«
    Für den Bruchteil einer Sekunde dachte ich, sie rede von meinem feuchten Traum mit Kreta Kano. Aber das war eine andere Geschichte gewesen. Sie redete von dem Tag, als sie angerufen hatte, während ich am Spaghettikochen gewesen war.
    »Tut mir leid«, sagte ich, »aber ich habe im Augenblick überhaupt keine Zeit. In zehn Minuten bekomme ich Besuch, und ich muß noch aufräumen.«
    »Für jemanden, der angeblich arbeitslos ist, sind Sie ja immer wahnsinnig beschäftigt«, sagte sie mit einem sarkastischen Unterton. Das gleiche war letztes Mal passiert: Ihre Stimme hatte sich von einer Sekunde auf die andere verändert. »Mal kochen Sie Spaghetti, mal erwarten Sie Besuch. Aber das macht nichts. Wir brauchen nicht mehr als zehn Minuten. Unterhalten wir uns zehn Minuten lang, nur Sie und ich. Sobald Ihr Gast da ist, können Sie auflegen.«
    Eigentlich wollte ich auflegen, ohne ein Wort zu sagen, aber ich brachte es nicht fertig. Wahrscheinlich ärgerte ich mich noch immer über Kumikos Eau de Toilette. Ich hatte wahrscheinlich das Bedürfnis, mit jemandem zu reden, und es spielte keine große Rolle, mit wem.
    »Schauen Sie«, sagte ich. »Ich habe nicht die blasseste Ahnung, wer Sie sind.« Ich nahm den Bleistift, der neben dem Telefon lag, und rollte ihn, während ich sprach, zwischen den Fingern. »Sind Sie sicher, daß ich Sie kenne?«
    »Natürlich kennen Sie mich. Das habe ich Ihnen doch schon letztes Mal gesagt. Ich kenne Sie, und Sie kennen mich. Bei so was würde ich doch nicht lügen. Ich habe nicht so viel Zeit zu vergeuden, daß ich wildfremde Leute anrufen würde. Sie müssen einen blinden Fleck in Ihrem Gedächtnis haben.«
    »Davon weiß ich nichts. Ehrlich, obwohl -«
    »Genug«, unterbrach sie mich. »Hören Sie auf, sich so viele Gedanken zu machen. Sie kennen mich, und ich kenne Sie.

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