Mister Mirakel
bereits die kleinen Häuser der Ortschaft sah.
Er war zufrieden und bewies dies auch durch eine Gefühlsregung. Einige Male klopfte er mit der Hand auf den Lenkradring. Auch sein Gesicht veränderte sich. Er grinste breit. So konnte sich nur jemand freuen, der genau wußte, daß sein Ziel dicht vor ihm lag und er nur noch zugreifen mußte.
Die Straße sah breiter aus, auch wenn sie nicht breiter geworden war. Es lag daran, daß sie an keiner Seite mehr von einem Wall aus Büschen oder Bäumen bewachsen war. Rechts und links lief sie über in ein freies, leicht welliges Feld, an das sich der Dunst geklammert hatte, als wollte er es nie mehr loslassen.
Mister Mirakel öffnete den Mund. Es sah so aus, als hätte ein Fisch sein Maul aufgeklappt, denn der Mund wies so gut wie keine Lippen auf. Hörbar holte er Luft und lächelte kurz vor sich hin. Im Licht der beiden Scheinwerfer schimmerte das auf der Straße liegende Laub. Einige Blätter sahen dabei aus wie Goldstücke, andere wiederum wirkten dunkel und faul.
Mister Mirakel beobachtete den linken Straßenrand. Der Dunst störte ihn etwas, weil er die Umgebung verzerrte. So mußte er schon suchen, bis er den Platz fand, den er sich ausgesucht hatte, um sein Wohnmobil abzustellen.
Er sah ihn. Es war ein breiter, halbmondförmiger Streifen, der an seiner Rückseite durch hochwachsende Sträucher und Niederwald einen natürlichen Schutz fand.
Mirakel lenkte das Fahrzeug nach links. Die Reifen verließen den feuchten Asphalt und rollen über körnigen Erdboden. Er war mit kleinen Steinen und Kies bestreut, aus dem Unkraut hervorwuchs, das von den Reifen plattgewalzt wurde.
Der Mann stoppte. Er stellte den Motor ab. Aber er stieg nicht aus und blieb zunächst im Wagen sitzen. Nur ein paar hundert Meter weiter südlich lag der kleine Ort Tyneham, in dem das große Halloween-Fest gefeiert wurde.
Tyneham war dafür bekannt. In den letzten Jahren hatte sich dieses Fest immer mehr herumgesprochen, so daß Gäste auch von weither kamen, um daran teilzunehmen.
Noch herrschte Ruhe vor dem Sturm. Die meisten würden erst am späten Nachmittag eintreffen. Einige waren auch schon da, die kamen immer mehrere Tage zuvor. Das spielte für Mister Mirakel nur eine untergeordnete Rolle. Er war sicher, daß er Besuch bekommen würde. Ihn und seinen Wagen konnte man einfach nicht übersehen.
Er stieg noch nicht aus, sondern drückte sich zwischen den beiden Sitzen hindurch und bewegte sich in sein Wohnmobil hinein. Er hatte es umgebaut und praktisch in zwei Hälften geteilt.
In der vorderen lebte er. Da gab es den festgeschraubten Tisch mit den ebenfalls befestigten Stühlen. Den Einbauschrank, den Kocher, das flache Bett, das hochgeklappt werden konnte, und auch die eingebaute Dusche und die Toilette. Eine Glotze war ebenfalls da, ein Radio auch. So brauchte Mister Mirakel auf die Annehmlichkeiten des Lebens nicht zu verzichten, wenn er unterwegs war.
Eine graue Falttür trennte die beiden Hälften. Mirakel zog sie auf und warf einen Blick in seinen ›Verkaufsraum‹. Er lächelte und machte Licht.
Da lagen sie wie hingegossen. All seine Lieblinge, die prächtigen Kürbisköpfe. Von ihm geschaffen, geschnitzt. Wahre Kunstwerke, auf die er sehr stolz war.
Das Licht floß über sie hinweg wie ein Schleier. Er hatte sie in Regale gestellt. Rote, blaue, grüne und natürlich auf gelbe Halloween-Masken. Augen, Münder und herausgeschnittene Nasen. Das gehörte einfach dazu, denn der Kopf sollte so etwas wie eine Skelettfratze darstellen. Und doch war jeder Kürbis ein Unikat. Keiner sah gleich aus. Der eine wirkte böser und schauriger, der andere wiederum schien den Betrachter verzerrt anzulächeln.
Mister Mirakel war zufrieden. Was keiner außer ihm tat, das hatte er gemacht. Jeder Kopf war von ihm eigenhändig mit einem klaren Lack bepinselt worden. Er fühlte sich gut unter den zufassenden Händen an, und das war wichtig für ihn.
Er betrat den Raum mit so leisen Schritten, als wollte er die Kunstwerke nicht stören. Für ihn waren sie nicht nur Kürbisköpfe, nein, dahinter steckte etwas anderes, eine besondere Philosophie, die er mit seinem Leben verteidigen würde. Jeder Kopf war ein Stück von ihm. Er hatte ihm etwas von sich eingehaucht und mitgegeben, und darüber war er sehr stolz.
Mirakel hob einen Kürbiskopf an. Er hatte ihn mit giftgrüner Farbe angestrichen. Seine Hände strichen über die sehr glatte Oberfläche hinweg, als wollten sie ihn liebkosen. Dabei
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