Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
Vom Netzwerk:
sie.
    Er ließ den Kopf auf die Sofalehne sinken.
    »Ich war heute Morgen dabei «, sagte sie.
    Der Narzissmus der Depressiven, dachte Pepin. Er würde ihr die Details aus der Nase ziehen müssen. »Wobei?«
    »Bei dem Unfall.«
    »Welchem Unfall?«
    »Der Kran!«
    Er hob den Kopf. »Der an der 91. Straße?«
    »Ja.«
    Pepin setzte sich auf.
    »Heute Morgen, beim Joggen«, sagte sie. »Ich bin auf das Gebäude zugelaufen, und kurz davor habe ich nach oben geschaut. Und ich schwöre dir, eine Sekunde später hätte ich genau drunter gestanden, aber da hörte ich es zweimal ploppen, so als würde Sprengstoff hochgehen, ich glaube, ich habe sogar die Rauchwölkchen gesehen. Und da kippt der Kran plötzlich um und fällt in meine Richtung, und für einen Moment war ich unsicher und habe mich gefragt, ob ich mir wegen der Wolkenbewegungen alles nur einbilde. Zuerst ging alles ganz langsam, aber dann fingen die Leute zu schreien an, und ich rannte die Straße runter, so schnell ich konnte. Und als er aufschlug, hat es mich von den Füßen gehauen.« Sie schauderte. »Er hat mich ganz knapp verfehlt«, sagte sie.
    Es hatte sich um einen unglaublichen, im Leben einmaligen Fastunfall gehandelt. Bei der Arbeit hatte er den Livestream den ganzen Tag verfolgt. Bizarrerweise hatte er tatsächlich daran gedacht, Alice anzurufen, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Er hatte es jedoch nicht gewagt, weil sich daraus zwangsläufig ein Gespräch ergeben hätte. »Aber das heißt noch lange nicht, dass jemand dich umbringen wollte«, sagte er.
    »Das war nicht der einzige Zwischenfall«, sagte sie niedergeschlagen.
    Sie erzählte ihm von dem Zug, von ihrer U-Bahn-Fahrt zur Grand Central, als sie auf dem Weg zur Arbeit war. Zwei Jugendliche prügelten sich spaßhaft an der Bahnsteigkante, als der Zug in den Bahnhof gedonnert kam. Ein versehentlicher Schubser. Alice drehte sich um die eigene Achse und ruderte über dem Abgrund wie wild mit den Armen. »Ich konnte das Gleichgewicht gerade eben noch halten«, sagte sie.
    »Aber das bedeutet doch noch lange nicht, dass diese Kinder dich umbringen wollten«, sagte Pepin. Sein Herz raste. Er war zu Tode erschrocken, er kochte vor Wut. Er wollte lachen, und er wollte weinen.
    »Das waren nicht die Kinder. Da war …« Sie senkte den Blick, wischte sich mit zitternden Händen die Tränen aus dem Gesicht. »Da war so ein Mann. Ein kleiner Mann. Er hat sie geschubst. Ich weiß nicht genau, ob er sie trennen oder in meine Richtung schubsen wollte. Und dann, als ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, war er weg.«
    Pepin starrte sie sprachlos an.
    »Du glaubst mir nicht.«
    »Ich habe nichts gesagt.«
    »Das war der Mann, der bei uns eingebrochen ist«, sagte sie. »Ich bin mir sicher.«
    »Nein«, sagte er, wenn auch nicht zu ihr.
    »Ich sehe ihn ständig. Aus dem Augenwinkel. In meinen Träumen. Er ist wie die Puppe in diesem Film von Karen Black.«
    »Trilogie des Terrors«, sagte Pepin verwundert. Er hatte den Gedanken im selben Moment gehabt.
    »Ja.«
    »Aber du …«
    »Ich weiß«, fauchte sie und nickte wütend. »Ich bilde mir alles nur ein.«
    »Nein«, sagte er.
    »Nein, schon klar, alles prima! Du willst es nicht mal hören. Du willst nichts hören von dem, was ich zu sagen habe.«
    Sie stürmte ins Schlafzimmer, während das erste elektrische Zittern die niedrig hängenden Wolken vor dem Fenster durchlief. Pepin nahm sein Handy und lief nach unten.
    »Schwein!« Er war auf der Straße, lief hin und her.
    »Was habe ich getan?«, fragte Möbius.
    »Genug. Schluss damit. Game over, okay?«, sagte Pepin. »Abbruch, verstanden?«
    »Abbruch wovon?«
    »Das werde ich nicht sagen.«
    »Was genau soll ich abbrechen?«
    »Warum haben Sie das Ende von meinem Buch gestohlen?«
    »Jetzt ist es mein Buch.«
    »Oh nein, ist es nicht!«
    »Oh, doch.«
    »Leck mich.«
    »Das erste Ende war zu kitschig. Das zweite zu glatt. Ich persönlich mag es am liebsten, wenn es mit einem großen Knall endet.«
    »Was muss ich tun, um dem ganzen Mist ein Ende zu setzen?«
    »Halten Sie sich von mir fern«, sagte Möbius und legte auf.
    Pepin schleuderte sein Handy so wütend zu Boden, dass es auf dem Gehweg zerplatzte.
    Es fing zu regnen an, so unvermittelt und heftig wie ein Wolkenbruch bei Charlie Brown, so als habe die Wolke gewartet, bis sie direkt über Pepins Kopf war. Er blieb stehen, starrte auf seine Füße, sah nichts mehr, hörte den Wind an den Ästen zerren, seinen eigenen,

Weitere Kostenlose Bücher