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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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schweren Atem, das Zischen des Wasserschwalls im Rinnstein.
    »David?«
    Er hob den Kopf. Vor ihm stand Georgine.
    Sie war so durchnässt wie er, war in Jeans und Pullover vom Regen überrascht worden. Sie war aus dem abgezäunten Vorgarten des benachbarten Sandsteingebäudes gekommen, so als habe sie sich im Schatten der Treppe versteckt, die zur Eingangstür hinaufführte, um auf ihn zu warten.
    »Was tust du hier?«, fragte Pepin.
    »Ich musste dich einfach sehen. Ich wollte dich gerade anrufen, aber dann warst du … plötzlich hier draußen.«
    Sie lächelte, aber er schaffte es nicht, sie anzusehen. Sie kam näher heran, berührte seinen nassen Bart, nahm sein Gesicht in die Hände und hob es an, um ihm suchend in die Augen zu sehen, und erleichtert ließ er den Kopf an ihre Handfläche sinken. Ihm war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr er sie vermisste, weil er so in Anspruch genommen worden war von Alice’ Rückkehr, von der Freude über die Versöhnung, von ihrer sich dann wieder verschlechternden Stimmung. Er hatte so fest geglaubt, alles würde anders. Georgines blondes Haar stand ihr in Kringeln vom Kopf ab, lockig und schwer vom Regen. Er dachte: Unsere Kinder hätten schreckliche Haare. Dann dachte er: Was denkst du da?
    »Ich habe mir Sorgen um dich gemacht«, sagte sie.
    Er nickte.
    »Du hast dich so verändert.«
    Er nickte.
    »Ich weiß, wir hatten vereinbart, uns bei der Arbeit nicht zu unterhalten, aber ich halte es nicht mehr aus, dich so zu sehen. Nicht mit dir zu reden.«
    »Ja.«
    »Sag mir, was los ist. Sag mir, dass es dir gut geht.«
    Sie küsste ihn, und die Berührung ihrer nassen Lippen war eine Erlösung. Er ließ seinen Kopf an Georgines Stirn sinken und betrachtete sie, ihren Mund, ihre Augen, und plötzlich schwappte die Erinnerung an vergangene Freuden in ihm über, daran, dass die Erlebnisse mit ihr von anderer Art waren als das, was er mit Alice teilte, nicht besser, nicht schlechter, bloß auf wunderbare Weise anders. Sie war stark auf eine Art, wie Alice es nicht war. Aber trotz dieser Erkenntnis fürchtete er sich davor, seine Gefühle auszudrücken, möglicherweise einer Frau gegenüber Schwäche zu zeigen. Er konnte nicht sagen, ob das eine Folge seiner Ehe war, eine Deformierung seines Charakters, weil er ständig fürchtete, Alice könnte von seiner Schwäche überfordert sein, oder ob er sich aus Berechnung jemanden gesucht hatte, der so bedürftig war wie Alice, weil ihn das davor bewahrte, jemals ähnlich trostbedürftig zu werden. In jedem Fall war Georgines Angebot ebenso phantastisch, wie es bedrohlich war, und auf einmal schien er vor einer Grundsatzentscheidung zu stehen. Pepin beschlich der Gedanke, dass man mit jedem beliebigen Menschen verheiratet sein konnte, dass man ganz einfach nur abwägen musste, was man zu geben und zu nehmen bereit war, welche Vor- und Nachteile man sich einhandelte. Eine weitere traurige Wahrheit war, dass möglicherweise nicht jeder Mensch bereit war, bestimmte Arten von Leichtigkeit oder Glück auszuhalten. Warum nicht? Weil das Glück befreiend wirkte? Weil das eigene Unglück dann nicht mehr in Stein gemeißelt war? Weil einem dann alle Möglichkeiten offenstanden und man sein Leben tatsächlich in Angriff nehmen musste? Woher rührte seine Angst?
    »Nein«, sagte er, »es geht mir nicht gut.«
    »Dann sollten wir uns unterhalten. Lass uns irgendwo hingehen, wo es warm ist, und etwas trinken.«
    »Das geht nicht.«
    »Doch.«
    »Ich muss wieder nach oben.«
    »David, du kannst dich mit mir unterhalten, ohne dass es irgendwas zu bedeuten hätte.«
    »Das stimmt nicht.«
    »Doch.«
    »Du musst mir versprechen, dass du hier nie wieder auftauchst.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Du vergeudest deine Zeit.«
    »Das ist meine Sache.«
    Er dachte an Schrödingers Katze. In einem anderen Universum gingen er und Georgine zum nächsten Diner, trockneten sich ab und wärmten sich auf, und dann würde er sich endgültig für sie entscheiden. Aber in diesem Universum konnte er nicht ausschließen, dass der Traum von der Flucht mit Georgine lediglich eine Reaktion auf alles war, was momentan in seinem Leben schieflief. »Ich muss jetzt gehen«, sagte er.
    Er ging am Portier vorbei ins Haus und sah, wie er sich selbst auf den Monitoren entgegenkam und seitlich verschwand. Im Aufzug hinterließ er eine Pfütze. Im Apartment war es dunkel. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Kurz nach neun. Sicher schlief Alice schon. Am Ende des Korridors

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