Mister Peanut
hatten die Dinge sich so schnell verändern können? Es war, als wären sie in ein bodenloses Loch gefallen.
David ging ins Wohnzimmer und setzte sich aufs Sofa. Er hatte nicht geduscht, dafür aber den ganzen Tag über pausenlos gegessen. Das Apartment lag, vom Arbeitszimmer abgesehen, im Dunkeln. Graue, dickbäuchige Wolken, von unten aus der zerklüfteten Häuserlandschaft angestrahlt, hingen über der Stadt. Als er Alice’ Schlüssel in der Tür hörte, schloss er kurz die Augen und lauschte auf ihre Schritte, die hereinkamen, zögerten, sich näherten. Als er die Augen wieder öffnete, stand sie am Fenster, und sofort beschämte ihn ihre Fitness – nach dem Streit musste sie zum Sport gefahren sein –, der Anblick verdoppelt durch die Reflexion in der Glasscheibe, verdoppelt und dennoch schlank in den schwarzen Leggings und dem Under-Armour-T-Shirt, so anmutig wie eine Superheldin nach der Verwandlung – die im Übrigen nicht weniger radikal war als seine eigene. Seit ihrer Rückkehr hatte David mächtig zugenommen und wog mehr als je zuvor, er hatte sich gehen lassen, das schwarze Haar und den zotteligen, ungepflegten Bart wild wuchern lassen. Wobei Alice’ Verwandlung rein äußerlich war. Ihr Gemüt war dasselbe geblieben, eigentlich hatte es sich noch verfinstert, was die Abende auf gewisse Weise noch dunkler machte, bis Pepin tagsüber schließlich ihre Heimkehr zu fürchten begann und sich jedes Mal fragte, welche Laune sie wohl diesmal mitbringen würde.
Ganz offensichtlich war Alice seit dem Einbruch vor vier Wochen nicht mehr dieselbe. Sie waren eines Sonntagsnachmittags nach einem späten Frühstück von einem Spaziergang im Park zufrieden nach Hause gekommen – waren sie nicht zufrieden gewesen? – und hatten feststellen müssen, dass die Wohnungstür offen stand; und als sie die Tür vorsichtig aufstießen, kam ihnen die Luft im Apartment elektrisiert vor, noch bevor sie das eigentliche Chaos entdeckt hatten. Im Wohnzimmer drängte Pepin seine Frau, die hinter ihm ging, zurück und zischte: »Ruf die Polizei!« Er hatte die aus den Regalen gezogenen Bücher entdeckt, die teils auf dem Boden verstreut, teils übereinandergestapelt oder wie absichtlich aufgeschlagen herumlagen. In der Küche waren Schubladen herausgezogen und Geräte auf den Boden geworfen, Schränke geplündert und Gläser zerbrochen worden. Im langen Flur waren die Drucke und Gemälde heruntergerissen worden, die Rahmen zerbrochen; im Schlafzimmer waren die Bücher ebenfalls aus den Regalen gerissen, jemand hatte die Schränke durchwühlt und die Kommode und die Nachttische umgeworfen. Gestohlen worden war offenbar nichts. Nun ja, nichts außer ihrem Sicherheitsgefühl; nichts, dachte er, bis er, und davon erzählte er Alice nichts, bemerkte, dass sein Computer eingeschaltet war, das Passwort geknackt und das Ende seines Romans abgeschnitten, gestohlen, ebenso wie die externe Festplatte. Er betrat das Badezimmer, weil er Alice angewidert stöhnen hörte; das Medizinschränkchen stand offen, Alice’ Pillenflaschen lagen im Waschbecken oder auf dem Fußboden, und eine sämige Flüssigkeit klebte am Toilettensitz, gelblich ausgehärtet wie Holzleim; die Wichse des Eindringlings schwamm in der Toilettenschüssel, dehnte sich bis in die Formlosigkeit aus wie eine Wolkenschrift und war trotzdem noch als gespenstisches, fransiges M im Wasser zu erkennen. Unmöglich, dachte Pepin.
»Was hast du getan?«, fragte Alice ihn jetzt.
»Nichts«, sagte er.
Sie verschränkte die Arme und schaute auf ihre Füße, und dann drehte sie sich urplötzlich und mit einem Seufzer um, als habe sie ein Geräusch gehört. »Heute ist mir was Seltsames passiert«, sagte sie.
Die Stimmung war so schlecht, dass Pepin nicht einmal mehr beurteilen konnte, ob sie überhaupt gefragt werden wollte. Er begnügte sich damit, einen großen Schluck von seinem Drink zu nehmen.
»Ich glaube«, sagte sie, »heute hat jemand versucht, mich umzubringen.«
Er brauchte eine Sekunde, um zu begreifen.
»Was hast du gesagt?«
Sie dämpfte die Stimme. »Du hast mich verstanden.«
»Ja«, sagte er, »aber wie hast du das gemeint?«
Es klang nach dem Anfang eines Streits. Sie hatten einen Zustand erreicht, in dem jeder letzte Satz im Raum nach Streit klang. Man versuchte durchzuhalten, es auszusitzen, aber er spürte den Sturm so sicher heraufziehen wie ein erfahrener Seemann.
»Jetzt wirst du bestimmt sagen, ich hätte es mir bloß eingebildet«, sagte
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