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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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unendlichen Disneyland, denn ständig kommen neue Wettbewerbe und Spiele hinzu. Und wenn man spielt – und jetzt kommt’s –, sieht man alles auch durch die Augen des Gegners. Split screen. Die Spielperspektive ist allwissend und eingeschränkt zugleich. Das macht die Faszination des Spiels aus, verstehst du? Denn die Leute wollen sich selbst sehen, richtig? Und gleichzeitig wollen sie sich in Gesellschaft anderer sehen. Alle sehnen sich nach dieser Perspektive. Und es wird noch besser: Wenn man gegen eine unbekannte Person gespielt hat, kann man diesen Er-und-doch-nicht-er oder diese Sie-und-doch-nicht-sie im virtuellen Raum kennenlernen. Man schließt Playworld -Freundschaften. Das zieht, das ist die wahre Schönheit der Anonymität im Netz. Man sagt, was man will und zu wem man will. Man kann ein anderer sein und doch man selbst. Das Ganze hat eine nicht zu überbietende Form der Direktheit.«
    Sie beugte sich weit vor, so als verrate sie ein Geheimnis. Auch David beugte sich vor.
    »Ich weiß nicht, wie es dir geht«, sagte sie, »aber ich habe das Gefühl, den ganzen Tag dieses andere Ich mit mir herumzutragen, das mit anderen kommunizieren und endlich handeln will, es aber nicht darf. Also lass uns spielen. Verstehst du? Es ist so, als würde ich jetzt zu dir sagen: ›David, du gefällst mir. Dein Aussehen gefällt mir. Deine Denkweise gefällt mir, und wie begabt du bist. Deine Hände gefallen mir und dein Mund.‹ Aber so was darf ich nicht sagen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil es dann kein Spiel mehr wäre.«
     
    Als David wieder im Büro war, rief er sofort zu Hause an, Alice ging jedoch nicht ans Telefon. Eine halbe Stunde später versuchte er es noch einmal und knallte dann, als sie immer noch nicht reagierte, den Hörer auf. Er war frustriert und blieb länger im Büro, hatte sich bis zum Abend aber wieder beruhigt. Auf dem Nachhauseweg kaufte er ihr Blumen, frische Pasta und fettarme Eiscreme. Er klingelte an der Tür, obwohl er seinen Schlüssel dabeihatte. Als er ihre Schritte näher kommen hörte, träumte er von einer warmen Willkommensumarmung, vielleicht sogar von der Versöhnung. Er streckte ihr den Blumenstrauß entgegen, aber anstatt ihm die Tür zu öffnen, zog Alice sie bloß einen Spalt breit auf; David musste den Fuß hineinstellen, damit sie nicht gleich wieder zufiel. Als er eintrat, ging Alice einfach weg. Sprachlos blieb er auf dem Flur stehen, und dann wurde er zum ersten Mal seit ihrer Entlassung richtig wütend. Er ging in die Küche, stellte die Einkaufstüte ab und bemerkte erst dann, dass das ganze Apartment im Dunkeln lag. »Gehört Energiesparen auch zu deinem neuen Plan?«, rief er. »Verändert das irgendwie dein Leben?« Er zog seinen Mantel aus, warf ihn über den Stuhl, ging durch die Wohnung und machte das Licht an, Schalter für Schalter und Lampe für Lampe, bis er ins Schlafzimmer kam, wo Alice mit dem Laptop auf dem Schoß im Bett saß, das Gesicht im Widerschein des Monitors leichenblass.
    David wartete.
    »Ich arbeite«, sagte sie.
    Er schaute sich im dunklen Zimmer um, sah in der Fensterscheibe ihren gespiegelten Torso, der über den Lichtern der Stadt zu schweben schien. »Ist das alles?«, fragte er.
    »Was meinst du?«, fragte sie.
    »Kein ›Wie war dein Tag?‹, ›Wie geht es dir?‹, ›Was ist los?‹«
    »Wie war dein Tag?«, fragte Alice. »Wie geht es dir? Was ist los?«
    Er knipste die Nachttischlampe an. »Du wirst noch blind«, sagte er und zwang sich zu einem Lächeln.
    »Wohl kaum.« Sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
    Er blieb noch lange neben dem Bett stehen, bis ihm dämmerte, dass sie einfach weiterarbeiten würde, und da ließ er sich, ohne zu wissen, was über ihn gekommen war, auf die Knie sinken und klammerte sich mit beiden Händen an ihrem Rock fest. »Bitte«, sagte er, »Alice, vergib mir, was immer ich getan habe. Was immer ich tue. Sag mir einfach, was es ist. Sag mir, was ich tun kann. Ich werde alles tun, Alice, das verspreche ich. Alles, was du willst.«
    Er atmete ihren Duft ein, fühlte den Stoff ihres Rocks und bebte am ganzen Leib. Alice hämmerte unablässig auf die Tastatur ihres Laptops ein. Er erhob sich langsam und zitternd wie ein Mann, der ein enormes Gewicht stemmt, und wankte hinaus. »Lass dir Zeit«, sagte er. »Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst.«
    Er ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen. Er hatte Hunger, aber die Vorstellung, zu kochen – der damit verbundene Aufwand – erschien ihm

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