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Mister Peanut

Mister Peanut

Titel: Mister Peanut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Ross
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nichts passiert. Hin und wieder wachte sie auf und verlangte nach mehr, woraufhin er sagte: »Schlaf weiter«, was sie auch tat. Manchmal wirkte sie einfach nur verwirrt. »Hatten wir letzte Nacht Sex?«, fragte sie dann am nächsten Morgen. Entweder sagte er ihr die Wahrheit und bejahte die Frage, oder er log und verneinte, nur um zu testen, ob sie wach gewesen war. Und wenn er selbst zu viel getrunken hatte, behauptete er, es leider nicht zu wissen, was oft sogar der Wahrheit entsprach.
    Er tat, was immer er wollte. Wenn ihm in der Wohnung die Decke auf den Kopf fiel, ging er in den Hinterhof und kümmerte sich um seine Rosen. Er hatte ein Beet angelegt, breit genug, um mehrere Personen der Länge nach darin zu vergraben. Manchmal brachte er Schnittblumen mit hinauf und dekorierte Hannahs Frühstücks- oder Abendessenstablett mit einer besonders schönen Blüte. Merkwürdigerweise gab es nichts, was sie schneller in Rage brachte, sie warf mit der Blume nach ihm und beschimpfte ihn lautstark – und auch das gefiel ihm an der neuen Regelung. Wenn sie ihn anschrie, konnten ihre Worte ihn nicht mehr verletzen – da Hannah sich aufzustehen weigerte, handelte es sich lediglich um die Klage einer Invaliden. Er konnte sich einfach umdrehen, das Zimmer verlassen und die Tür hinter sich zumachen.
    Zugegeben, er vermisste sie, wenn er draußen in der Welt unterwegs war. Er erinnerte sich daran, wie sie früher ungefragt seine Hand oder seinen Arm genommen hatte, wie sie hinter ihm aufgetaucht war und ihn umschlungen und ihm ins Ohr geflüstert hatte, was sie später noch tun könnten. Nach dem »Ich bin wieder da!«, nach dem Kochen, dem Abendessen, dem »Wie war’s?«, dem Abspülen, dem Blick ins Eisfach und dem Plätschern des Whiskys auf die Eiswürfel beschlich ihn manchmal eine Sehnsucht, wie er da in seinem Lieblingssessel saß, eine Sehnsucht nach Hannah, die er nicht ganz verstehen konnte, eine Sehnsucht nicht bloß nach der Frau, die er geheiratet hatte, sondern nach einer Zeit, in der er unbelastet gewesen war, die Schultern noch nicht gekrümmt und der Rücken noch nicht verspannt. Wahrscheinlich sehnte er sich nach seiner Jugend, auch wenn das Gefühl komplexer war und mit einem geistigen Zustand zu tun hatte, an den er sich nicht mehr erinnern konnte – er sehnte sich wie ein Alzheimerpatient, auf orientierungslose, flüchtige, vergebliche Weise. Es war, als würde er in einer überfüllten U-Bahn von einem Fremden angerempelt, ein plötzliches, unerwartetes und auf ganz eigene Art erschreckendes Gefühl.
    Es war die Sehnsucht nach dem Gefühl, frisch verliebt zu sein. Erfuhr er gerade am eigenen Leib, was es bedeutete, wenn man zusammen alt wurde?
    Nun, da er sich an die neue Regelung gewöhnt hatte, bekam er auch ein neues Problem. Er konnte sich nicht mehr an das Leben davor erinnern, sein Gedächtnis ließ ihn im Stich, egal, wie sehr er sich bemühte. Er konnte sich an gemeinsame Unternehmungen erinnern, aber es kam ihm vor, als würde er Schauspieler in einem Stummfilm beobachten, Schattenfiguren aus fremden Träumen. Selbstverständlich konnte er sich noch an die lange Autofahrt nach Cleveland erinnern – ein anstrengender Zwölfstundenritt –, wo er Hannahs Familie vorgestellt worden war, seine damaligen Gefühle für Hannah oder die Unterhaltung im Auto hatte er jedoch vergessen. Er wusste nicht mehr, warum es ihn so erregt hatte, ihren Mund in Bewegung zu sehen. Selbstverständlich konnte er sich an ihre Hochzeitsreise nach Kiawah erinnern, wo sie stundenlang und Hand in Hand an endlosen, flachen Stränden spazieren gegangen waren und Hannahs Hand sich in seiner immer trocken angefühlt hatte. Er erinnerte sich an das seltsam romantische Gefühl, mit dem er die breitarmigen Krabbenfischerboote aufs Meer hinaustuckern gesehen hatte, an seine und Hannahs Träumereien, so ein Boot zu kaufen und sich zusammen ein perfektes Leben einzurichten. Er konnte sich jedoch nicht erinnern, was sie damals gefühlt hatte, dabei musste sie es ihm gesagt haben, und auch nicht an den Sex von damals, nur dass ihr Körper ihm neu und kostbar erschienen war.
    In letzter Zeit fiel es ihm schwer, sich überhaupt an irgendeine ihrer Aussagen zu erinnern.
    Wie ist es möglich, dass Menschen einander so ausradieren können?, fragte er sich.
    Es gab nur noch die Hannah im Bett.
    Hannah im Bett.
    Hannah.
    Sag ihren Namen, wieder und wieder, sprich ihn rückwärts aus, und nichts wird sich ändern. Zuerst klang es wie ihr

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