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Misterioso

Misterioso

Titel: Misterioso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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ihn bat. Er klemmte den Hörer routiniert zwischen Schulter und Kinn und rührte in seiner Kaffeetasse. Als er schließlich etwas sagte, klang es wie Finnisch mit einer Menge falsch platzierter Os. Nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, wandte er sich mit höflich unterdrückter Verärgerung an den Besucher.
    »Der Kommissar wird gleich kommen und Sie abholen, Herr Norrland.«
    »Please«, sagte Norlander gut erzogen.
    Es dauerte nicht lange, bis in der Eingangshalle das Klingeln eines Fahrstuhls ertönte und ein blonder Mann im knittrigen Kordanzug und mit einer Kassenbrille erschien, wie es sie zu Norlanders Militärdienstzeiten mal gegeben hatte.
    »Norlander, nehme ich an«, sagte der Mann und streckte ihm eine Hand entgegen. Norlander schüttelte sie. Der Mann hatte einen festen Griff. »Ich bin Laikmaa.«
    Sie fuhren mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock.
    »Sie hätten anrufen und sagen sollen, dass Sie auf dem Weg hierher sind«, sagte Laikmaa mit einem eleganten amerikanischen Ostküstenakzent. »Dann hätten Sie sich den Arger ersparen können.«
    »Ich wollte so unangemeldet wie möglich sein«, erwiderte Norlander. »Es steht einiges auf dem Spiel.«
    »Schon gut«, sagte Laikmaa lakonisch. »Hier sterben Geschäftsleute am laufenden Band. Wir erleben ein völlig neues Klima der Gewalt. Jeder legt die Gesetze der Marktwirtschaft aus, wie es ihm passt. Das, was in der Sowjetzeit unterdrückt war, bricht jetzt mit enormer Kraft hervor, genau wie wir es erwartet haben. Unser Job war zweifellos leichter – wenn auch kaum angenehmer –, als wir noch Werkzeuge der Unterdrücker waren. Jetzt leben wir mit einem Staat im Staate, der in genau dem gleichen Ausmaß Infiltration betreibt wie vorher der Staat der Staaten. Es sollte mich nicht wundern, wenn Ihre Ankunft in einschlägigen Kreisen längst bekannt ist. Wir müssen bei allem, was wir sagen und preisgeben, sehr vorsichtig sein. Genau wie früher. Die Wände haben Ohren. Treten Sie ein.«
    Sie kamen in einen gemütlichen kleinen Raum mit vertrockneten Pflanzen auf dem Fensterbrett. Aus den Fenstern blickte man auf die Altstadt und das Schloss mit dem imposanten Turm, der »Langer Herman« genannt wurde. Für Norlander existierte keine Aussicht. Er nahm auf dem Stuhl vor Laikmaas Schreibtisch Platz.
    »Jeder Tag beginnt mit einer elektronischen Durchsuchung meines Büros«, sagte Laikmaa und steckte sich eine Zigarette an. »Um sicherzugehen, dass über Nacht keine Abhöranlagen installiert worden sind. Das schützt natürlich nicht vor Distanzabhörung. In meiner Eigenschaft als Chef der kaum erwähnenswerten Mafiabekämpfung hier im Land bin ich doch sehr interessant. Was nun die Mafia betrifft...«
    »... dürfte wohl niemand besser urteilen können als Sie«, ergänzte Norlander knapp.
    »Je mehr man weiß, desto deutlicher wird einem, was man alles nicht weiß«, antwortete Laikmaa weise. »Über meinen Schreibtisch wandern alle Formen organisierter Kriminalität, von einfachen Schutzgeld- und Eintreiberbanden bis hin zu Fällen, die in die höchsten Spitzen des Landes reichen. Einziger gemeinsamer Nenner ist der Wunsch, an den neuen Möglichkeiten zu partizipieren. Die einen behaupten, wir hätten jetzt das wahre Gesicht der Marktwirtschaft vor uns, die anderen, wir hätten es mit der logischen Fortsetzung des Staatsterrorismus zu tun. Am auffälligsten ist der Verlust des – vielleicht kann man es Mitgefühl nennen – instinktiven Gespürs für das Wesen der Demokratie. Es geht wie immer nur darum, soviel wie möglich zusammenzuraffen. Auf Kosten anderer. Unabhängig davon, ob der Staat totalitär ist oder gar nicht vorhanden.«
    Laikmaa blätterte in den Papierstapeln auf seinem Schreibtisch und erwischte auf unbegreifliche Weise das Blatt, das er suchte.
    »Also«, sagte er. »Was unsere bisherigen Telefonate betrifft, habe ich soweit nichts Neues hinzuzufügen. Die Viktor-X-Bande ist ein Zusammenschluss aus Russen und Esten, die hauptsächlich in Tallinn operieren. Seit neuestem strecken sie ihre Fühler auch nach Schweden aus, da der finnische Markt langsam gesättigt ist. Wir wissen nicht genau, wie weit es damit gediehen ist, ob sie bereits ein Kontaktnetz aufgebaut haben oder in welcher Regelmäßigkeit es zu Schmuggelaktivitäten kommt, wir wissen nur, dass es Ambitionen in dieser Richtung gibt. Verräter werden, wie bereits erwähnt, konsequent mit Kopfschüssen hingerichtet; mir sind keine Abweichungen von diesem Muster bekannt, und sie

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