Misterioso
erkannte ihn nicht gleich wieder, aber als sie es tat, zog sie genau das Gesicht, das er erwartet hatte. Er fuhr ohne Umschweife schwere Geschütze auf.
»Warum die Lüge, dass Sie am siebten September 1990 nicht Caddie für die drei Toten waren?«
Sie sah ihn mit ziemlich entblößtem Blick an. Eins stand fest, sie hatte auf ihn gewartet. Einen Monat lang.
»Tot waren die nicht. Im Gegenteil. Übertrieben lebendig wäre wohl treffender.«
»Wollen wir uns nicht setzen? Die Gäste scheinen heute durch Abwesenheit zu glänzen.«
»Und dabei ist so ein tolles Licht«, sagte Lena Hansson und klang älter, als sie war.
Sie ging voran in das geschlossene Restaurant und setzte sich an einen der Tische. Hjelm setzte sich zu ihr. Sie fummelte an einem heruntergebrannten Teelicht herum.
»Sie waren drei Caddies, oder?«
»Ja. Sie hatten uns im voraus angefordert. Einen Jungen, Carl-Gustaf von irgendwas, an den Namen kann ich mich nicht mehr genau erinnern, aber ich könnte ihn nachschlagen, meine Freundin Lotta – Lotta Bergström – und mich. Sie hat es am meisten mitgenommen. Ihretwegen hab ich nichts gesagt.«
»Wie meinen Sie das?« Hjelm genehmigte sich eine Zigarette, weniger um des Genusses willen, als um dem Rauchverbotsschild zu trotzen.
»Lotta war ... vorher schon aus dem Gleichgewicht. Schwierige Kindheit. Noch schwierigere Jugend. Ich hatte ihr den Job besorgt. Wir waren damals siebzehn und im Gymnasium in derselben Klasse. Ich hab mich irgendwie schuldig gefühlt. Sie ... ‘92 hat sie sich das Leben genommen. Ich weiß nicht einmal, ob das mit dieser Sache zu tun hatte. Wahrscheinlich nicht. Aber ich hab trotzdem das Gefühl, dass alles meine Schuld ist.«
»Was ist passiert?«
»Dieser Carl-Gustaf von und zu konnte es nicht fassen. Er stammte aus einer richtig prächtigen Adelsfamilie, Sie wissen schon, wo noch Anstand und Etikette herrschen, nicht nur bei festlichen Anlässen, sondern als etwas, das auch im Alltag und Geschäftsleben gilt. Anstand, Etikette und eine altmodische Moral stecken solchen Leuten sozusagen in den Knochen. Die meisten Leute von ihnen sind ziemlich unangenehm. Das war Carl-Gustaf auch. Die ersten vier Löcher lachte er noch artig zu allem, was die Herren von sich gaben, aber dann blieb ihm das Lachen im Halse stecken. Die nächsten vier Löcher ließ er sich von Strand-Julén schikanieren, und am neunten Loch stellte er einfach die Golftasche ab und ging. Ich hab ihn nie wieder gesehen. Wäre er ein echter Gentleman gewesen, er hätte uns mitgenommen.«
Carl-Gustaf von und zu, merkte sich Hjelm.
»Und Lotta und Lena harrten aus?« fragte er.
»Siebzehn Jahre, gut erzogen, unsicher: Natürlich sind wir geblieben. Als Carl-Gustaf von und zu weg war, witzelten sie über das Geschwür des erzkonservativen Adels, das um sie herum wucherte. Es gibt so eine Art von neureichem Neid, den ich nur zu gut kenne – auf die, die in den Genen haben, was die anderen ihr Leben lang ersehnt und nur in stilisierter Form erreicht haben. Wenn sie den Adel sehen, sehen sie ihre eigene Affektiertheit. Bei meinem Vater ist es genauso.«
»Etwas präziser, bitte: Was genau ist vorgefallen?«
»Sie hatten vorher im Restaurant schon ziemlich getankt und wirkten, ich weiß nicht, irgendwie gedopt, als hätten sie sich auf der Toilette eine Linie Koks reingezogen.«
»Oder im Taxi auf dem Weg hierher«, sagte Hjelm unprofessionell.
»Jedenfalls ging es mit anzüglichen Sprüchen und Andeutungen auf leidlich hohem Niveau los, so dass wenigstens Carl-Gustaf von und zu noch darüber lachen konnte. Uns war das Ganze hauptsächlich peinlich. Auf dem Golfplatz war so gut wie nichts los, sie konnten also ungestört weitermachen. Strand-Ju-len hatte es vor allem auf Carl-Gustaf abgesehen, so dass wir eine Weile unsere Ruhe hatten. Die meiste Zeit ging es um die Größe von Carl-Gustafs adligem Organ. Nach seinem Abgang gerieten wir dann in die Schusslinie. Aber richtig. Ich bin nie zuvor in meinem Leben so mies behandelt worden, und das wird mir auch nie wieder passieren. Das versichere ich Ihnen.«
»Was würden Sie machen?«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie abknallen?«
Sie lachte laut, grell und ganz und gar unnatürlich.
»Ach ja«, sagte sie schließlich und wischte sich die Tränen ab. »Ich kann nicht behaupten, dass ich sehr betroffen gewesen wäre, als ich hörte, dass sie erschossen worden sind. Alle drei, einer nach dem anderen, ausgerechnet die drei. Das war einfach zu schön, um wahr
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