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Misterioso

Misterioso

Titel: Misterioso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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genügend Alkohol einnimmt? Lotta wusste das. Das waren keine Warnungen oder Schreckschüsse oder Hilferufe. Sie hat siebenmal ernsthaft versucht, sich umzubringen. Es war, als wäre sie eine ... falsche Lieferung gewesen. Als wäre sie nicht dafür bestimmt gewesen, geboren zu werden. Als hätte jemand die Lieferscheine vertauscht.«
    »Wissen Sie, woran das lag?«
    »Ich weiß es nicht, und ich verstehe es nicht«, sagte Bergström tonlos. »Ich verstehe es nicht, und ich werde es auch niemals verstehen.«
    »Haben Sie etwas von den Morden an den drei Geschäftsleuten mitbekommen?«
    Bergström hatte sich abgewandt. Es dauerte eine Weile, bis er sich gefasst hatte.
    »Das ließ sich ja kaum vermeiden.«
    »Haben Sie die drei umgebracht?«
    Gusten Bergström sah ihn verdutzt an. Dann blitzte es eigenartig in seinen Augen, so als hätte jemand seinen verkümmerten Lungen neuen Lebensgeist eingehaucht. Der Geist ist willig, das Fleisch ist schwach, dachte Hjelm blasphemisch.
    »Ja«, sagte Bergström und schien zu wachsen. »Ich habe sie ermordet.«
    Hjelm betrachtete die von innen leuchtende Gestalt. Plötzlich geschah etwas in Gusten Bergströms tristem Alltag. Sein Gesicht würde auf allen Titelseiten prangen. Er würde zum ersten und letzten Mal in seinem Leben im Mittelpunkt stehen.
    »Lassen Sie das«, sagte Paul Hjelm und blies mit dem kurzen Satz den plötzlich erwachten Lebensgeist aus.
    Gusten Bergström sank in seinem harten Sessel zusammen. Hjelm goss ein wenig Öl auf die Wogen der Enttäuschung.
    »Warum haben Sie Kuno Daggfeldt, Bernhard Strand-Julén und Nils-Emil Carlberger getötet?«
    »Warum?« Bergström zog die ohnehin schon hochgezogenen Schultern noch ein Stückchen höher. »Na ja, weil sie ... reich waren ...«
    »Sie haben also nicht die leiseste Ahnung, was diese drei Herren Ihrer Schwester am siebten September 1990 angetan haben, einen Monat bevor sie ihren dritten Selbstmordversuch unternahm und zum ersten Mal in Beckomberga eingeliefert wurde?«
    »Was zum Teufel wollen Sie damit sagen?« Gusten Bergström fuhr aus dem Sessel hoch und suchte etwas, woran er sich festhalten konnte. Aber es gab nichts. Seine Finger griffen ins Leere.
    »Die drei haben an ebenjenem Tag versucht, ihre Schwester, die als Caddie bei ihnen mitlief, zu vergewaltigen.«
    Bergströms Hände erstarrten. Er stand reglos in einer Wolke aus Staubkörnern, genau an der Stelle, an der sich die diagonal einfallenden Sonnenstrahlen brachen. Es lag eine makabere Schönheit in seinem Schmerz.
    »Hätte ich das gewusst«, sagte er laut und deutlich, »hätte ich sie umgebracht. Aber dann hätten sie nicht mehr so lange gelebt, das garantiere ich Ihnen.«
    » Sie wussten also nichts davon?«
    »Nein.« Bergström setzte sich, um im nächsten Moment wieder aufzuspringen. »Jetzt verstehe ich«, sagte er. »Jetzt verstehe ich alles.«
    »Was verstehen Sie?«
    »Lotta war es. Lotta hat sich selbst gerächt! Sie hat das Reich der Toten für ein paar Tage verlassen. Danach ist sie in die bessere Welt zurückgekehrt.«
    Bergström hastete zu dem Regal, zog ein altes abgegriffenes Buch heraus und fuchtelte damit vor Hjelms Gesicht hin und her.
    »Wissen Sie, was Erinnyen sind?« fragte er, schien aber keine Antwort zu erwarten. Er hätte auch keine bekommen. »Das sind die entsetzlichsten Wesen der griechischen Mythologie, aber auch die respektabelsten. Der lange Arm der absoluten Gerechtigkeit. Sie jagen ihre Opfer Tag und Nacht, bis sich das Grab vor ihnen auftut. Ich werde Ihnen ein kleines Stückchen daraus vorlesen: ›Im Grunde genommen war die Erinnys ursprünglich nichts anderes als die Seele des Ermordeten oder Verstorbenen, die, wenn es keinen Angehörigen gab, der die Blutrache erfüllen konnte, die Rache selber in die Hand nahm, unerbittlich und unversöhnlich, wie Todesengel in ihrem Zorn nun einmal sind.‹«
    Er sah Hjelm auffordernd an, doch der saß nur schweigend da.
    »Begreifen Sie denn nicht!« rief Gusten Bergström. »Es gab keinen Rächer, also musste sie es selber machen. Sie hat auf einen Rächer gewartet, aber es kam keiner. Es stimmt alles! Ausgerechnet die drei, die ihr das angetan haben, sterben ein paar Jahre später kurz nacheinander. Das ist doch wunderbar! Und der Mörder ist die Seele einer Ermordeten! Eine Rachegöttin!«
    Für einen Moment ließ Hjelm sich von Bergströms Begeisterung mitreißen. Die Parallelen waren nicht von der Hand zu weisen. Der spurlose Rächer. Der göttliche, postume

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