Misterioso
dem harten Feldbett in seiner Dreizimmerwohnung in der Banergatan. Kerstin Holm wurde in Brandberg von der Matratze auf dem Boden der kleinen Wohnung der Exfrau ihres Exmannes geholt. Jorge Chavez schreckte von dem kleinen Klapptisch in der Kochnische seines Pensionszimmers an der Kreuzung Bergsgatan-Scheelegatan hoch, wo er, das halbvolle Weinglas in der Hand, mit dem Gesicht in den Resten des Abendessens eingeschlafen war. Arto Söderstedt erhob sich aus dem Lesesessel in seiner Einzimmerwohnung in der Agnegatan und legte seine Brille weg. Und Paul Hjelm wurde aus dem ungemütlich leeren Doppelbett in dem Reihenhaus in Norsborg geklingelt.
Jan-Olov Hultin war schon länger wach. Er erwartete sie in einer Küche in Rösunda, Saltsjöbaden.
Chavez traf als letzter ein und sah unverschämt frisch aus, eine Nachtblume in der pechschwarzen Mainacht.
»Hast du etwa geduscht?« fragte Hjelm, der einen großen Kaffeepott umklammerte.
»Frag nicht«, antwortete Chavez. »Also, um wen handelt es sich?«
»Hast du schon einen Blick ins Wohnzimmer geworfen?«
»Es sieht aus wie immer. Haben die Techniker schon angefangen?«
»Ich hab euch vor den Technikern angerufen«, sagte Hultin. »Damit ihr den Schauplatz völlig unberührt sehen könnt. Es sind wieder zwei Schüsse in den Kopf, oder?«
Einige nickten.
»Die Kugeln stecken noch in der Wand«, sagte Söderstedt.
Hultin nickte und legte los. »Gut, da kommt einiges auf uns zu. In diesem Fall haben wir es mit einer anderen Sorte ›Spitze der Gesellschafe zu tun. Der Tote heißt Enar Brandberg, war seit der letzten Wahl Reichstagsabgeordneter und vorher Generaldirektor eines kleineren staatlichen Werks.«
»Allmänna Direktionsfonds«, sagte Söderstedt. »Nicht direkt ein staatliches Werk, aber fast. Danach war er Abgeordneter der Volkspartei.«
Hultin schickte ihm einen Seitenblick und nahm den Faden wieder auf.
»Kurz nach ein Uhr kam die Tochter, Helena Brandberg, achtzehn, nach Hause, vor einer Dreiviertelstunde also. Sie hörte Jazz aus dem Wohnzimmer, was ihr sonderbar vorkam, da ihr Vater nie Musik hörte. Sie ging ins Wohnzimmer, sah die flatternden Gardinen und dahinter einen schemenhaften Schatten über den Rasen zur Straße rennen. Etwas verwirrt ging sie zur Stereoanlage und machte die Musik aus. Erst danach entdeckte sie ihren Vater und schrie – so laut, dass die Nachbarn herbeigeeilt kamen, eine Familie Hörnlund, deren Tochter im selben Alter wie Helena und zufällig auch ihre beste Freundin ist. Helena Brandberg steht unter Schock, es war so gut wie nichts aus ihr herauszukriegen. Ich musste mich hauptsächlich an die Aussagen von Familie Hörnlund halten. Da es keine Mutter mehr gibt, sie ist vor ein paar Jahren an Krebs gestorben, haben die Hörnlunds Helena Brandberg ins Krankenhaus begleitet. Ich war draußen und hab mir den Garten angesehen; scheint so, als gäbe es im Gras eine Menge Spuren.«
»Das Ende der Spurlosigkeit«, sagte Chavez.
»Die Materialisierung der Erinnyen«, sagte Hjelm.
Die anderen sahen ihn an. Söderstedt hob die linke Augenbraue und setzte zu einem Kommentar an, zog es aber doch vor zu schweigen.
»Also gut«, fasste Hultin in gewohnter Manier zusammen, »diesmal stecken beide Kugeln noch in der Wand, und wir haben eine Menge Fußabdrücke. Aber vor allen Dingen haben wir eine Kassette.«
»Eine Kassette?« fragte Holm.
»Ja, die Musik, Jazz. Im Kassettenfach der Stereoanlage steckt ein Band, das ohne jeden Zweifel unserem Mörder gehört. Den Brandbergs gehört es jedenfalls nicht. Weder die Tochter noch der Vater hörten Jazz. Aber als die Tochter nach Hause kam, lief das Band, und aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Mörder sich noch in dem Raum aufgehalten. Offensichtlich ist es eine feste Gewohnheit unseres Mannes, sich nach dem Mord aufs Sofa zu setzen und sich ein Jazzstück anzuhören. Dank Helena Brandberg, die das Band angehalten hat, wissen wir sogar, um welches Stück es sich handelt. Und da ein paar Musikfreunde unter uns sind, dachte ich, wir könnten gleich hier versuchen, herauszubekommen, was es mit dem Stück auf sich hat. Nicht zuletzt deswegen habe ich die Techniker erst etwas später informiert. Uns bleiben vielleicht zwanzig Minuten, bis wir aus dem Wohnzimmer geschmissen werden.«
»Mit Jazz kenne ich mich nicht sonderlich aus«, sagte Gunnar Nyberg.
Sie gingen ins Wohnzimmer und stiegen einer nach dem anderen über den Toten hinweg. Hultin zog Gummihandschuhe über und spulte das
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