Misterioso
beiden Kollegen, von denen die eine sich gerade in einen Stapel mit gregorianischer Kirchenmusik vertieft hatte, und sagte ein paar Worte in seinem etwas langsameren Spanisch.
Der Indianer lachte laut. Hjelm lächelte Alberto an und stellte im selben Moment fest, dass der eigentümliche Geruch, der ihm beim Betreten des Ladens in die Nase gestiegen war, von ein paar Räucherstäbchen herrührte, die in einem Blumentopf mit einer vertrockneten Pflanze steckten und vor sich hin schwelten.
»Kommt mit ins Allerheiligste«, sagte Alberto in gebrochenem, aber völlig korrektem Schwedisch.
Das Allerheiligste war ein kleiner abgedunkelter Raum mit einer teuren, alles dominierenden Stereoanlage.
»Wißt ihr, dass Jorge einer der herausragendsten schwedisch-chilenischen Jazzbassisten ist?« fragte Alberto aus der Dunkelheit.
»Esto son chorradas! Quatsch!« erwiderte Chavez gutgelaunt.
»Doch, das ist wahr«, sagte Alberto laut lachend. »Darf ich die Kassette haben?«
Kerstin Holm betrat den Raum als letzte. Sie hatte nur eine Hand frei, weil sie in der anderen drei CDs hielt, aber am Ende gelang es ihr, die Kassette aus ihrer Handtasche zu fischen.
»Haben Sie keine Bedenken, Ihren Laden unbeaufsichtigt zu lassen?« fragte sie, als sie Alberto die Kassette reichte.
»Mich bestiehlt niemand«, sagte er und schob das Band ins Kassettendeck.
Sie hörten das Ende von Misterioso. »Ziemlich schlechte Qualität«, meinte Alberto. »Zwei-, vielleicht dreimal kopiert, schätze ich. Kaum von einer CD. Das typische LP-Knistern fehlt auch. Vermutlich war das Original ein Fünfziger-Jahre-Tonband.«
»Jetzt kommt es«, sagte Chavez, als nach dem Applaus die wilde Improvisation begann. Albertos Gesicht strahlte regelrecht in der Dunkelheit.
»Aaaahhh«, sagte er und ließ einen aufgeregten spanischen Wortschwall folgen.
»Und jetzt das Ganze noch einmal auf schwedisch«, sagte Chavez.
»Entschuldigt, natürlich. Das ist etwas ganz Besonderes. Das habe nicht einmal ich. Wartet, bis ich es mir zu Ende angehört habe.«
Knappe drei Minuten dauerte das Chaos, das sich allerdings zum Ende hin allmählich zu ordnen schien. Als hätten die Musiker ein gemeinsames Gefäß gefunden. Selbst Hjelm spürte, dass es etwas Besonderes war, wie die hingeworfenen Schlenker und Läufe aufeinander trafen und zusammenfanden, um am Ende miteinander zu verschmelzen.
Alberto räusperte sich und hielt die Kassette an.
»Misterioso wurde am siebten August 1958 im Five Spot Cafe in New York aufgezeichnet, von dem Produzenten und Monk-Fanatiker Orrin Keepnews und dem Tontechniker Ray Fowler. Nach Monks Tod hat Keepnews auf der CD ein paar Nummern dazugenommen, die bei der früheren Riverside Zusammenstellung verworfen worden waren. Die fehlen hier. Das hier muss was sein, von dessen Existenz ich weiß, das ich aber noch nie gehört habe. Wenn man der Geschichte glauben kann, ist dieser kurze Ausschnitt nur erhalten geblieben, weil Ray Fowler im Suff eingepennt ist, ohne das Tonbandgerät abgestellt zu haben. Das kann aber auch ein Mythos sein. Die Improvisation hat hinterher sogar einen Namen bekommen, Risky. Keepnews und Monk wollten sie nicht mit auf der Platte haben, und bei den Complete Riverside Recordings ist sie auch nicht dabei. Die beiden hielten sie für eins jener Stücke, die im Augenblick ihres Entstehens eine gewisse Magie entfalten – und dann sterben. Aber ihr hört ja selbst, dass das nicht stimmt. Irgend jemand muss die Aufnahme aus einem tiefen Keller ausgegraben und kopiert haben.«
»Sie haben von ihrer Existenz gewusst?« hakte Hjelm nach. »Wann haben Sie davon gehört, wo, in welchem Zusammenhang?«
»Mitte der Achtziger bekam ich das Angebot, eine Kopie davon zu kaufen. Von einem amerikanischen Jazzmusiker, der in Schweden lebt. Aber er wollte tausend Dollar dafür haben. Das war nicht drin.«
»Wer war das?« fragte Chavez.
»Du kennst ihn, Jorge. Vor ein paar Jahren hättest du fast mal einen Gig mit ihm gemacht. Jim Barth Richards.«
»Der Tenorsaxophonist?«
»Genau. White Jim. Mit der weißesten Haut, die ich je bei einem Jazzmusiker gesehen habe. Little Johnny Winter. Er ist in Schweden geblieben. Weil’s hier die besseren Entzugsanstalten gibt, meinte er, als ich ihn das letzte Mal traf. Er muss etwa alle zwei Monate eine Entgiftungskur machen. Danach legt er wieder los. Ich hab keine Ahnung, ob er gerade irgendwo spielt oder mal wieder in der Klinik ist.«
Sie bedankten sich bei Alberto, nahmen die
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