Misterioso
Band an den Anfang des Stückes zurück.
Bereits nach den ersten drei, vier Klaviertönen sagten zwei Personen im Chor: »Misterioso.«
Kerstin Holm und Jorge Chavez sahen einander erstaunt an. Hultin hielt das Band an.
»Einer nach dem anderen«, sagte er gleichmütig und ignorierte geflissentlich die Absurdität der Tatsache, dass zwei von sechs Mitarbeitern der A-Gruppe Jazzkenner waren.
»Das Stück ist sehr bekannt«, sagte Chavez, nachdem Kerstin Holm ihm zugenickt hatte. »Thelonious Monk Quartet. Monk Klavier, Johnny Griffin Tenorsaxophon, Ahmed Abdul Malik Bass. Wie heißt der Schlagzeuger noch gleich?«
»Roy Haynes«, sagte Kerstin.
»Genau«, sagte Jorge. »Es ist der Titelsong der LP Misterioso, auf dem Original das sechste und letzte Stück, wenn mich nicht alles täuscht. Zehn, elf Minuten lang. Atemberaubendes Saxophonsolo von Griffin, Monk in Höchstform. Eine Komposition von Monk. Was gibt es sonst noch zu sagen?«
Kerstin Holm übernahm.
»Die Aufnahme entstand an einem magischen Sommerabend 1958 in dem bekannten New Yorker Jazzklub Five Spot Cafe. Auf der CD haben sie noch ein paar Titel von einer früheren Aufnahme dazugenommen. Der erste ist auch so ein Standard, Round Midnight. Wir können feststellen, ob unser Mann seine Kassette von der CD oder der Originalplatte aufgenommen hat. Bei der CD kommt Round Midnight nach Misterioso, auf der Platte nichts.«
Sie spulte vor. Nach den letzten Akkorden von Klavier und Saxophon, nach dem Applaus und den Pfiffen kam ein weiteres Stück, entschieden chaotischer, ekstatisch aufbrausend. Eigentlich nicht wie eine Komposition, dachte Hjelm und fühlte sich wie der letzte Kunstbanause. Saxophon und Klavier stachelten sich gegenseitig zu etwas an, das sowohl Geniestreich als auch reines Chaos sein konnte, Hjelm vermochte es nicht zu entscheiden.
»Nein, nein, nein«, sagte Chavez. »Das ist auf keinen Fall Round Midnight.«
»Das hab ich noch nie gehört«, bestätigte Holm. »Komisch.«
»Was heißt das?« fragte Hultin.
»Das könnte heißen, dass der Mann im Anschluss an Misterioso noch etwas anderes aufgenommen hat«, sagte Chavez zweifelnd.
»Aber Monk ist es auf alle Fälle«, stellte Holm fest. »Diese Art von blue notes, das ist eindeutig er. Seine Hände liegen praktisch platt auf der Tastatur.«
»Ich finde, das klingt wie eine direkte Fortsetzung«, warf Hjelm ein und war sicher, von den Experten nur entnervte Seufzer zu ernten. »Es gab keinen richtigen Schnitt zwischen den Stücken.«
»Das stimmt«, pflichtete Chavez dem überraschten Hjelm bei. »Entweder ist unser Mann ein verdammt guter Toningenieur, oder ...«
»Oder«, beendete Holm den Satz, »wir haben es mit einer einzigartigen Aufnahme zu tun.«
»Woher wisst ihr soviel darüber?« fragte Hjelm beeindruckt.
»Kennst du nicht das Motto der Jazzmusiker?« fragte Kerstin Holm zurück. »Those who talk don’t know. Tbose who know don’t talk.«
»Ein Landsmann von mir, ein Chilene also«, sagte Chavez, es war das erste Mal, dass Hjelm ihn sein Herkunftsland nennen hörte, »ist der absolute Experte für seltene Jazzaufnahmen. Er hat einen kleinen Plattenladen in Rinkeby. Wir könnten morgen zu ihm fahren.«
»Gut«, sagte Hultin, »da dies unsere bisher heißeste Spur ist, übernehmt ihr sie zu dritt: Holm, Chavez und Hjelm. Aber wenn der Chilene seinen Teil beigetragen hat, wirst du dich wohl oder übel wieder der Aufsichtsratsspur zuwenden müssen, Jorge. Vermutlich ist dort noch einiges rauszuholen. Es könnte übrigens sein, dass dieser Mord die Geschäftsspur hinfällig werden lässt«, sagte er an Söderstedt gewandt, der alles andere als enttäuscht aussah. »Vielleicht können Pettersson und Floren bald zu ihren Finanzen zurückkehren. Wir werden sehen. Arto, du überprüfst natürlich trotzdem, ob irgendwelche geschäftlichen Verbindungen zwischen den vier Herren bestehen. Obwohl ich glaube, dass wir es diesmal mit einer anderen Art von Opfer zu tun haben. Ansonsten machen wir weiter wie gehabt. Nyberg fischt weiter in den Tiefen der Unterwelt, Norlander, du machst, sobald du wieder auf dem Damm bist, mit der Mafiaspur weiter, als ob nichts gewesen wäre.«
Norlander nickte energisch. Hultin war noch nicht ganz fertig.
»Die wichtigste Frage ist: Warum hat er wieder zugeschlagen? Nach mehr als einem Monat?«
»Was ist mit der Kassette?« fragte Hjelm. »Wir können nicht riskieren, dass die Techniker wochenlang darauf hocken. Und womöglich Infos an die
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