Mistreß Branican
Mutter… gewagt hat?
– Ja, ich erinnere mich… Mrs. Branican… Ja… das ist er.
– Und jetzt ist er auf der See?
– Auf der See.
– Auf welchem Schiffe befindet er sich?
– Auf dem Dreimaster »Californian«.
– Von San-Diego?
– Nein, Mistreß, von San-Francisco.
– Wohin segelt das Schiff?
– In die europäischen Meere.«
Eben stieß eines dieser Schiffe ab. (S. 95.)
Mrs. Branican, die schwächer war, als sie selbst dachte, schwieg einige Augenblicke und der Beamte wartete, bis sie ihn wiederum fragen werde. Als sie sich ein wenig erholt hatte, sagte sie:
»Ist Zach Fren in San-Diego heimisch?
– Ja, Mistreß.
– Können Sie mir sagen, wo seine Familie wohnt?
– Ich habe immer sagen hören, daß Zach Fren keinen Menschen auf der Welt hat.
– Er ist nicht verheiratet?
– Nein, gnädige Frau…«
Der Beamte konnte sich wohl kaum irren, da er ja den Matrosen genau kannte. Da ließ sich also für den Augenblick nichts machen und Mrs. Branican mußte nun die Rückkehr des »Californian« nach Amerika abwarten.
»Weiß man, wie lange das Schiff ausbleiben wird? fragte sie.
– Ich weiß dies wirklich nicht, denn der »Californian« hat eine große Reise vor sich.
– Ich danke Ihnen, mein Herr. Es würde mich ungemein freuen, wenn ich mit Zach Fren bald sprechen könnte, aber es wird wohl ohne Zweifel noch lange dauern…
– Gewiß, gnädige Frau!
– Aber man wird doch sicher bald irgend welche Nachrichten über den »Californian« erhalten… vielleicht in einigen Monaten… in einigen Wochen?…
– Nachrichten? erwiderte der Beamte. Aber das Haus von San-Francisco, welchem das Schiff gehört, muß schon mehrmals Nachrichten erhalten haben…
– Schon?
– Ja… gnädige Frau!
– Mehrmals?…«
Indem Mrs. Branican diese Worte wiederholte, stand sie auf und sah den Beamten starr an, als ob sie ihn nicht verstanden hätte.
»Da, gnädige Frau, hub dieser an, indem er ihr eine Schiffszeitung reichte, da ist die Shipping-Gazette… Sie meldet, daß der »Californian« vor acht Tagen Liverpool verlassen hat…
– Vor acht Tagen! sagte Mrs. Branican leise, die zitternd die Zeitung in der Hand hielt.«
Mit ganz veränderter Stimme, die der Beamte kaum verstehen konnte, fragte sie:
»Seit wann ist Zach Fren fort?
– Seit achtzehn Monaten…
– Achtzehn Monaten!«
Dolly mußte sich an den Tisch halten… Ihr Herz blieb für einige Augenblicke stehen…
Plötzlich fielen ihre Blicke auf einen Fahrplan, der die Sommerfahrten der Schraubendampfer anzeigte und der an der Wand hing. Sie stand demselben gegenüber und las:
März 1879.
März 1879!… Man hatte sie getäuscht!… Es waren vier Jahre seit dem Tode ihres Kindes verflossen… vier Jahre, daß John San-Diego verlassen hatte… Sie war also vier Jahre irrsinnig gewesen!… Ja!… Und wenn ihr Mr. William Andrew und der Dr. Brumley sagten, daß ihr Wahnsinn nur drei Monate dauerte, so sagten sie das nur, um ihr die Wahrheit über den »Franklin« zu verbergen… weil man seit vier Jahren ohne jede Nachricht von John und seinem Schiffe war!
Zum großen Schrecken des Beamten zitterte der ganze Körper der Frau. Aber sie wußte sich doch zu beherrschen, verließ die Kanzlei und eilte durch die Straßen der unteren Stadt.
Die Passanten, welche ihr bleiches Antlitz, ihren starren Blick sahen, mußten denken, daß sie wahnsinnig wäre…
Und wenn sie es nicht war… die unglückliche Dolly… konnte sie es nicht wieder werden?
Wohin eilte sie? Nach dem Hause des Mr. William Andrew, wo sie nach einigen Minuten ankam. Sie durcheilte die Bureaux, durchbrach die Reihen der Commis, welche keine Zeit hatten, sie aufzuhalten, und stieß die Thür des Zimmers auf, in welchem sich der Chef befand.
Zuerst war Mr. William Andrew über das plötzliche Eintreten der Mrs. Branican ganz bestürzt, dann, als er ihre auffallende Blässe sah, ganz erschrocken. Bevor er noch ein Wort sagen konnte, rief sie:
»Ich weiß es… ich weiß es!… Sie haben mich getäuscht! Ich bin vier Jahre wahnsinnig gewesen!…
– Meine liebe Dolly… beruhigen Sie sich!
– Antworten Sie!… Der »Franklin«… nicht wahr, es sind schon vier Jahre, daß er fort ist?«
Mr. William Andrew senkte den Kopf.
»Sie haben noch keine Nachrichten… seit vier Jahren… seit vier Jahren?«
Mr. William Andrew schwieg noch immer.
»Man sieht den »Franklin« als untergegangen an… Es wird Niemand zurückkehren… Ich werde John nie
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