Mit 14 glaubt man an die Freundschaft
durch
Muffligkeit und bockbeiniges Benehmen vor den Kopf zu stoßen, als müsse sie
sich ständig für irgend etwas rächen?
Daß er sie dafür auch noch mit einer
Einladung zu einer gemeinsamen Wanderung belohnt hatte, machte alles nur noch
schlimmer.
Katja zog die schwere Haustür des alten
Mietpalastes auf und stieg in den Keller hinunter, in dem die Räume der
Ballettschule lagen. Unten war es dunkel, sie war also die erste. Elfie Krüger, Frau Künzels Assistentin, machte wahrscheinlich noch Mittagspause.
Katja knipste das Flurlicht an und ging
in die Garderobe, um sich umzuziehen. Die Garderobe war eng und ungemütlich, es
roch nach Schweiß, billiger Seife und Bohnerwachs, aber Katja liebte diesen
Geruch.
Hier unten, wo es so richtig nach
Arbeit roch, fühlte sie sich glücklich - soweit sie überhaupt dazu imstande
war, sich glücklich zu fühlen.
Papis Bemerkung hatte mal wieder alle
alten Wunden aufgerissen: den Zorn über ihr Aussehen, die Verachtung, die sie
sich selbst entgegenbrachte. Denn sie -
Katharina Steinebach - hatte nicht nur einen blödsinnigen Vornamen, sondern auch ein doofes Gesicht,
eine miese Figur, eine quakige Stimme, eine
Zahnspange und schauderhafte Hemmungen im Umgang mit anderen. So jedenfalls sah
sich Katja selbst.
Zum Glück gab es einen Menschen, dem
das egal war: Petra Christiansen, ihre beste Freundin, seit sie nach dem
schweren Busunfall wochenlang gemeinsam im Krankenhaus gelegen hatten. Im
Zusammensein mit Petra konnte sie alles vergessen, was ihr sonst das Leben so
sauer machte.
Katja warf einen verachtungsvollen
Blick auf ihr Spiegelbild und begann, sich auszuziehen.
Oben klappte die Eingangstür. An ihrem
leichten, sicheren Schritt erkannte sie die Freundin. Katja lauschte - und
schon hörte sie die schrille Stimme von Petras Mutter: „Ich hol dich in
anderthalb Stunden ab. Falls etwas ist: Ich bin beim Friseur.“
Was soll schon sein! dachte Katja
ärgerlich. Wenn Frau Christiansen doch bloß damit aufhören würde, Petra wie ein
dreijähriges Kind zu bemuttern! Richtig ekelhaft war das. Und Petra fügte sich
schweigend, um ihrer Mutter nicht weh zu tun. Das wäre ja alles nicht so
schlimm gewesen, wenn Frau Christiansen nicht mit so verbissenem Eifer an dem
arbeiten würde, was sie Petras Karriere nannte. In den Augen ihrer Mutter war
Petra der geborene Bühnen- und Fernsehstar, und Frau Christiansen tat alles, um
ihre Wunschvorstellung Wirklichkeit werden zu lassen.
Petra stürmte in die Garderobe.
„Auftritt Petra, der Götterliebling.
Aber vielleicht wäre ,Mamas Liebling’ noch passender?“
maulte Katja.
„Nanu, schlechte Laune? Was ist denn
los, hat dich jemand gebissen?“
„Ach wo. Ich habe nur gerade über
Eltern im allgemeinen und im besonderen nachgedacht.
Mein Vater zum Beispiel hat mir gerade mitgeteilt, daß er mich lieber ganz
anders gehabt hätte. Ich gefalle ihm nicht. Ist ja auch kein Wunder
„Aha. Du hast ihn geärgert, und er ist
drauf eingestiegen und sauer geworden. Und jetzt hat meine liebe Katja wieder
einen willkommenen Anlaß, in ihren Minderwertigkeitsgefühlen zu baden. Stimmt’s?“
Katja runzelte die Stirn. Aber dann
mußte sie doch lachen. “So ähnlich wird’s wohl gewesen sein. Du bist
unschlagbar!“
Sie schlüpfte in ihr Trikot und drehte
Petra den Rücken zu, um sich von ihr den Reißverschluß schließen zu lassen.
„Du hast zugenommen.“
„Quatsch.“
„Doch, du kriegst ‘nen richtig schönen
Busen.“
„Blödsinn, du willst mich nur
aufheitern. Bohnenstange bleibt Bohnenstange und Besenstil bleibt Besenstiel.
Ich werde nie wie ein weibliches Wesen aussehen. Ist mir auch völlig schnuppe.“
Sie stellte sich im Profil vor den Spiegel und zupfte da, wo Petra ihren Busen
vermutet hatte, an dem hellblauen Stoff des Trikots. “Ei, ei, was hab ich da
entdeckt, zwei Erbsen auf ein Brett gezweckt .“
„Dir ist ja nicht zu helfen. Los, beeil
dich.“
Oben klappte die Tür, und eine Schar
Ballettschülerinnen tobte die Treppe herunter. Katja und Petra schlüpften in
ihre Spitzenschuhe und prüften sorgfältig den Sitz, bevor sie die Bänder
schnürten.
„Wolltest du mit den Spitzenschuhen
nicht noch warten?“ fragte Katja besorgt. “Ich verpetz dich beim Onkel Doktor,
wenn du dich überanstrengst!“
„Nur ein paar Minuten, ich versuch’s mal. Der Unfall ist jetzt fast fünf Monate her -
und einmal muß ich doch wieder anfangen. Mama meint auch...“
„Die liebe Mama! Sie glaubt wohl,
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