Mit 50 hat man noch Träume
zurück auf vertrautes Terrain
zu führen.
Ben warf
einen raschen Blick auf die Uhr. »Schon 6!« Seine Augen weiteten sich. »Ich muss
sofort los, bin viel zu spät dran, das gibt Ärger.«
Er sprang
auf, und während er sich eilig seine Sporttasche griff, sagte er: »Falls wir für
das Spiel in Köln keine Karten mehr bekommen, kommen wir zu Ihnen.«
»Zu dir!«,
erwiderte Caro.
»Was?«
»Du sollst
doch du sagen!«
»O.k.« Ben
lachte und setzte sich in Bewegung. Plötzlich drehte er sich noch einmal um, und
rückwärts stolpernd wiederholte er den Satz, jedes einzelne Wort betonend: »Wenn
wir nicht nach Köln fahren, kommen wir zu dir! «
Das war
exakt, was Ines Schmitz hörte, als sie mit ihrer Freundin Marianne Hohenstein hinaus
auf die Ahrpromenade trat, um einen kleinen Abendspaziergang zu machen und den neu
angelegten Garten des ›Ahrstübchens‹ zu inspizieren.
12
Den 02. Mai 2010 würden sie nie
vergessen. Ein Alptraum, ein böses Geschwür. Dabei hatte alles so gut angefangen.
Der Himmel
strahlte in einem Blau, das tiefer und makelloser nicht sein konnte. Kein Wölkchen
weit und breit, nur ein schmaler Kondensstreifen, der sich wie die Schleppe eines
Hochzeitskleides über den Himmel zog. Es war einer dieser Frühlingstage, die zu
schön waren, um wahr zu sein. Meisen flogen mit Sapphos Haarbüscheln, die Bruni
extra für die Vögel ausgelegt hatte, aufgeregt zwischen Terrasse und Nistkasten
hin und her und bauten sich daraus ein Luxusnest, die Ahr floss kristallklar im
Sonnenschein dahin, und im ›Ahrstübchen‹ bereiteten sich Bea, Ulrike, Caro und Bruni
voller Elan auf den Ansturm der Gäste vor. Um 11 Uhr hatten sie zu einem Empfang
eingeladen, sie erwarteten alle, die im Ort Rang und Namen hatten. Den Bürgermeister
Hubertus Hohenstein samt Frau Marianne, einige Winzer, darunter Dieter Schmitz mit
Gattin, Repräsentanten des Eifelvereins, des Tourismusbüros sowie des Junggesellenvereins
und viele mehr, so auch Christine Schäfer und weitere Mitglieder des Landfrauenvereins.
Wang San, mit dem Bruni inzwischen jeden Morgen Qi Gong machte, und seine Schwester
Mei Ling hatten ihr Kommen ebenfalls zugesagt. 70 Personen waren eingeladen, und
ab 12 Uhr sollte die Tür des ›Ahrstübchens‹ dann auch für alle anderen Gäste geöffnet
sein.
Der Sekt
stand kalt, die Kanapees waren geschmiert, und es mussten nur noch einige Braten,
Salate sowie diverse Süßspeisen auf dem Buffet arrangiert werden. Bea und Ulrike
hatten die Tische mit kleinen Traubenhyazinthen-Sträußen geschmückt, und auf der
Theke stand ein riesiges Bund Maiglöckchen. Bruni zapfte probehalber Bier und versuchte,
ihm schöne, steife Schaumkronen aufzusetzen, und Bea gab zwei Aushilfskellnerinnen
Anweisungen darüber, was auf den Tabletts mit Begrüßungsgetränken stehen sollte.
Sie ließ
die Augen prüfend umherschweifen und setzte sich einen Moment. Sie fühlte sich aller
Vorfreude zum Trotz ein wenig schwach und wackelig, so als stünde sie auf tönernen
Füßen. Die letzten Tage waren anstrengend gewesen, und die kleinen Reibereien mit
Bruni machten ihr mehr zu schaffen, als ihr lieb war. Während sie die Freundin beim
Zapfen beobachtete, dachte sie an die von ihnen vereinbarte Arbeitsteilung, wie
sie sie in Zukunft praktizieren wollten. Caro sollte für den Service zuständig sein
und Bruni würde hinter der Theke für die Getränke sorgen. Ulrike war für die Küche
verantwortlich und Bea für das Gesamtmanagement. Allerdings würde sie auch überall
dort einspringen, wo es gerade nötig war.
Der 02.
05. 2010. Ein Datum, rund und klar. Es sah gut aus und fühlte sich gut an. Bea betrachtete
die Zahlen, die sie auf einen Bierdeckel gemalt hatte. Sie hatten es geschafft.
Termingerecht hatten sie das Lokal neu hergerichtet, und das Ergebnis konnte sich
sehen lassen. Während sie sich nun auf der Bank zurücklehnte und ihr Blick erneut
über Tische, Bänke, Theke und Buffet glitt, spürte sie, wie stolz sie auf sich und
ihre Freundinnen war. Sie hatten viel geleistet in den letzten Tagen und trotz Schlafmangels
sahen sie heute durchaus passabel aus, fand sie. Caro hatte sich für ein auf Figur
geschnittenes, buntes Kleid mit großen geometrischen Mustern entschieden, dazu trug
sie eine lange Ethnokette. Bea blickte an sich herab und strich über ihr hellgelbes
Etuikleid, dessen Stoff unter ihren Händen leicht knisterte und sich angenehm kühl
anfühlte. Sie fühlte sich wohl darin. Ihr Blick glitt hinüber zu
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