Mit 50 hat man noch Träume
zur chinesischen Mauer zu
machen, doch dabei war es geblieben. Seit die Wangs zu einer immer größeren wirtschaftlichen
Macht in Altenahr wurden und viele Bürger fürchteten, dass sie und ihre Landsleute
durch ihre Omnipräsenz das traditionelle Brauchtum des Ortes gefährden könnten,
war es klüger, woanders hin zu fahren. Man wusste nie, wie eine Reise nach China
im Gemeinderat und von den einflussreichen Leuten im Ort aufgenommen werden würde.
Thailand lag auch in Asien und sollte über tolle Strände verfügen. Nach der Sprechstunde
würde er einfach einmal entsprechende Urlaubsangebote googeln.
Während
er auf die Straße hinaussah und auf die Ankunft der Busse wartete, fragte er sich,
ob er am 02. Mai wirklich ins ›Ahrstübchen‹ gehen sollte. Er hatte eine persönliche
Einladung zur Eröffnung erhalten, aber anstatt sich darüber zu freuen, betrachtete
er sie eher als Affront, denn die Kölnerinnen hatten ihm übel mitgespielt. Hubertus
Hohenstein ballte unwillkürlich die Fäuste. Er war kein guter Verlierer, das wusste
er, aber dass ihm diese Frauen aus Köln das ›Ahrstübchen‹ vor der Nase weggeschnappt
hatten, würde er ihnen so schnell nicht verzeihen. Kreuzten mit ihrem Cabrio hier
auf und glaubten, sie könnten in Altenahr etwas werden.
Je länger
er darüber nachdachte, desto deutlicher wurde ihm bewusst, dass er sich in seiner
Funktion als Bürgermeister der Verbandsgemeinde zur Wiedereröffnung wenigstens einmal
kurz im ›Ahrstübchen‹ blicken lassen musste, es führte kein Weg daran vorbei, auch
wenn es ihm noch so schwer fiel. Wichtig war es, die Souveränität zu wahren, er
durfte sich nichts anmerken lassen, und schließlich brauchte er ja nicht lange zu
bleiben.
Marianne,
seine Frau, würde auf jeden Fall mit ein paar Vereinsfreundinnen hingehen. Sie hatte
ihm davon berichtet, dass der Landfrauenverein in Erwägung zog, seine allwöchentlichen
Mitgliedertreffen wieder im ›Ahrstübchen‹ abzuhalten, und allein der Gedanke daran
führte dazu, dass er nervös wurde und mit einem Stift aufs Fensterbrett klopfte.
Wenn er sich vorstellte, dass Marianne sein Geld zu den Kölnerinnentrug,
bekam er schlechte Laune.
Langsam
ging er wieder hinüber zum Schreibtisch und setzte sich. Was glaubten sie eigentlich,
wer bei ihnen einkehren würde? Die Einheimischen sicher nicht, und auch nicht die
chinesischen Touristen, die aßen nur, was sie kannten. Ebenso wenig die deutschen
Touristen. Sie wollten seiner Erfahrung nach von der hiesigen Gastronomie einen
Wildbraten oder eine Gänsekeule serviert bekommen, die es auch als Seniorenteller
mit einer kleiner bemessenen Portion gab. Hubertus Hohenstein blies kraftvoll einen
Schwall Luft aus der Nase. Die Touristen, die herkamen, waren meist älter als 50,
und er wusste, dass es wichtig war, das touristische Angebot auch für die Jugend
und junge Familien attraktiv zu gestalten. Aber wie sollte es aussehen? Er hatte
bislang noch keine zündende Idee gehabt. Im Herbst gab es die Weinfeste, die die
Jüngeren anzogen, und auch das Ahrrock-Festival, das meist in den Räumlichkeiten
des Winzervereins stattfand, aber ansonsten war das touristische Angebot eher mager.
Der Bürgermeister
hob lauschend den Kopf. Schon bevor er sie sah, hörte er das dumpfe Donnern der
heranrollenden Reifen, und ungewollt verzog er schmerzlich das Gesicht. Da waren
sie wieder, die Chinesen. Ein Fluch und ein Segen. Was die Steuereinnahmen betraf,
ein Segen, was ihre Anwesenheit in Altenahr anging, für viele ein Fluch. Wie die
Heuschrecken überschwemmten sie täglich den Ort. Kein Mensch verstand, was sie sagten,
ihr Englisch war schlecht und Deutsch sprachen sie sowieso nicht. Sie wuselten über
die schmalen Bürgersteige, sodass keiner mehr an ihnen vorbeikam. So viel ostasiatisches
Flair an der Ahr schreckte ab, nicht nur die Einheimischen, sondern auch die deutschen
Touristen, die es unbedingt zu halten galt.
Es klopfte
an der Tür. Bevor der Bürgermeister den ersten Besucher hereinbat, schwor er sich,
das Problem in den Griff zu bekommen. Egal wie.
11
Er stand schon eine geraume Weile
so. In den Schatten der Mauer gedrückt, umgeben vom summenden Ton einer Biene, die
über seinem Kopf einen Tanz aufführte. Ihr Summen störte auf lästige Art die Friedlichkeit
des Bildes, das sich ihm bot, doch er traute sich nicht, sie zu vertreiben, denn
jede Bewegung konnte Aufmerksamkeit erregen und ihn verraten.
Er wollte
schauen, ihr einfach nur zuschauen. Die Art,
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