Mit 50 hat man noch Träume
11.30 Uhr.
Um 11.45
Uhr begann Bea, sich wie in einem Vakuum zu fühlen, ihre Brust wurde eng. Es schien
eine einfache und selbstverständliche Wahrheit zu sein: Die Einwohner Altenahrs
interessierten sich nicht für sie.
Um kurz
vor 12 öffnete sich endlich die Tür, und Caro und Bea sprangen auf. Wang San und
seine Schwester Mei Ling kamen herein, mit einer Topfblume und einem großen Beutel
Glückskekse in der Hand.
»Willkommen
in Altenahr! Wir hoffen, dass Sie sie mögen, auch wenn sie keine chinesische, sondern
eine echt amerikanische Erfindung sind«, sagte Wang San mit einer Verbeugung, und
Mei Ling lächelte dazu. Die Freundinnen hatten sie vor zwei Tagen kennengelernt,
als Mei Ling ihr Motorrad vor dem ›Ahrstübchen‹ geparkt und bei ihnen einen Kaffee
getrunken hatte.
»Ich liebe
Glückskekse«, rief Bruni begeistert und strahlte Wang San an. »Vielen Dank.« Die
morgendlichen Qi-Gong-Übungen hatten dazu geführt, dass sich eine zarte Vertrautheit
zwischen ihnen angebahnt hatte, die sie auch jetzt wieder wahrnehmen konnte, obwohl
sie sich immer noch siezten. Sie mochte seine sanfte, bedachte Art, und zum ersten
Mal seit Langem hatte sie das Gefühl, dass Männer durchaus interessant sein konnten.
Mei Ling,
die ebenso glattes schwarzes Haar wie ihr Bruder besaß und ebenso dunkelbraune Augen,
beobachtete Bruni dabei, wie sie die Folie des Beutels zerriss und hinein griff.
»Mut steht
am Anfang des Handelns, Glück und Erfolg am Ende«, las sie
vor.
Die Freundinnen
sahen sich an und brachen in hysterisches Lachen aus. »Wenn das kein gutes Omen
ist!« Bruni nahm den Papierstreifen und klebte ihn demonstrativ mit Tesafilm an
die Theke.
»Sind wir
die Ersten?«, fragte Mei Ling, sich umblickend.
»Nein, die
anderen sind schon wieder weg«, antwortete Caro und fügte schnell hinzu. »Kleiner
Scherz, natürlich nicht. Außer euch ist bislang niemand gekommen.«
»Oh.« Mei
Ling sah unsicher zu ihrem Bruder hinüber, der sich gerade ein Glas Orangensaft
vom Tablett nahm, das eine Aushilfe in den Händen hielt.
»Nehmen
Sie doch ein Gläschen Sekt«, forderte Ulrike ihn und seine Schwester auf.
Wang San
schüttelte den Kopf. »Danke, nein. Wir müssen gleich wieder rüber. Unser Vater vertritt
mich zwar in der Küche, und unsere Schwägerin ist für Mei Ling im Service eingesprungen,
aber allzu lange können wir trotzdem nicht hier bleiben. Außerdem …« Er unterbrach
sich kurz und lächelte. »Außerdem verträgt die Hälfte aller Chinesen Alkohol nicht
so gut, und wir gehören leider dazu.«
»Was?«,
fragte Caro mit großen Augen.
»Vielen
Chinesen fehlt ein wichtiges Enzym zum Alkoholabbau. Bevor wir also mit roten Köpfen
nach einem einzigen Glas Sekt hier heraus wanken, trinken wir lieber Saft«, antwortete
Mei Ling.
»Sie Ärmsten«,
Bea hob ihr Glas. »Dennoch, zum Wohl!«
» Gan
bei !«, sagten Wang San und Mei Ling wie aus einem Munde. Die Worte hörten sich
wie ein hoher Singsang an.
» Gan
bei? «
»Heißt so
viel wie Prost.« Wang San nickte.
Bea, Caro,
Bruni und Ulrike sprachen den Ausdruck vorsichtig nach, aber offensichtlich falsch,
denn er und seine Schwester bestanden darauf, dass sie ihn wiederholten, dabei amüsierten
sie sich über ihre Aussprache.
»Sie müssen
den richtigen Ton treffen!«, dozierte Wang San und belehrte sie: »Im Chinesischen
wird jede Silbe und jedes Wort in einer bestimmten Tonlage gesprochen, insgesamt
gibt es vier Töne und einen neutralen. Wenn Sie den richtigen Ton nicht hundertprozentig
treffen, bekommt das Wort einen völlig anderen Sinn.«
»Oder es
wird völlig sinnfrei und wir verstehen es erst gar nicht«, ergänzte Mei Ling. »Chinesen,
die verschiedene Dialekte sprechen, verständigen sich übrigens miteinander, indem
sie die Schriftzeichen der Einfachheit halber in die Handfläche malen.«
Bruni und
ihre Freundinnen waren beeindruckt.
»Eigentlich
heißt Gan bei › leere das Glas‹ . Sie würden sagen, › Auf Ex!‹ ,
aber das nehmen wir jetzt mal nicht so genau«, Wang San lachte und sie stießen miteinander
an.
Nach einem
Moment wechselte Bea das Thema und wandte sich an Mei Ling. »Waren Sie das, die
ich neulich auf dem Motorrad gesehen habe?«
Mei Ling
nickte stolz.
»Tolle Maschine«,
sagte Bea anerkennend. »Ich wollte eigentlich auch immer einen Motorradführerschein
machen, habe mich dann aber nie getraut. Wie lange haben Sie sie schon?«
»Die Kawa?
Seit 10 Jahren«, erklärte Mei Ling und senkte bescheiden den
Weitere Kostenlose Bücher