Mit 50 hat man noch Träume
wie sie die Pflanzen wässerte, so behutsam
darauf bedacht, kein Blatt mit unnötig hartem Strahl zu treffen, erinnerte ihn an
etwas, doch er wusste nicht, an was.
Im Verborgenen
sah er zu, wie sie die Gießkanne absetzte, den Strohhut vom Kopf nahm und sich dann
völlig unerwartet langsam auf den nackten Boden gleiten ließ. Der Strohhut kullerte
ins Beet, und sie ließ ihn davonrollen, so als führe er ein eigenes Leben und gehöre
schon nicht mehr zu ihr. Sie streckte sich lang aus, die Arme und Beine weit vom
Körper gespreizt.
Atemlos
stand er still. Sie lag einfach da und rührte sich nicht, ihr blondes Haar glänzte
in der Abendsonne. Sie sah aus, als wolle sie die Kraft der Erde in sich aufsaugen,
den schweren, mineralischen Duft atmen und eins werden damit.
Ich kann
doch jetzt nicht ewig dorthin starren, dachte er, aber sie ist so voller Licht,
wie sie da liegt, und das ist schön. Hätte er nicht die Bewegung ihrer Finger bemerkt,
die vorsichtig über den Boden strichen, hätte er geglaubt, sie wäre eingeschlafen.
»Du kannst
ruhig herüberkommen.« Ihre Stimme klang klar und ruhig.
Meinte sie ihn? Er hielt den Atem an und rührte sich nicht vom Fleck. Auch sie blieb
still liegen.
»Ich weiß,
dass du da bist«, sagte sie.
Er schwieg.
Langsam
setzte sie sich auf und stützte ihren Oberkörper mit den Armen ab. An ihrem Rücken
mussten Erdkrumen haften. Sie sah zu ihm herüber, direkt in seine Augen.
»Ich heiße
Caro.«
Er räusperte
sich verlegen. »Und ich Ben.«
»Hi, Ben.«
»Hi.«
»Bist du
da drüben festgewachsen?«
»Nein.«
Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss.
»Nun komm
schon her.«
Zögernd
ging er zu ihr hinüber.
»Setz dich.«
Einladend klopfte sie auf den Boden neben sich und Ben ging in die Hocke.
»Tut mir
leid, ich wollte Sie wirklich nicht …«, stotterte er.
Aufmerksam
sah Caro ihn an. »Schon gut. Wohnst du hier?«
»Ja, neben
der Winzergenossenschaft.«
»Und bist
gerade auf dem Nachhauseweg?«
»Nein, auf
dem Weg zum Training.«
Caro bemerkte
die Sporttasche, die noch an der Mauer stand.
»Fußballtraining.
Wir kicken um diese Zeit immer.«
Caro überlegte,
wie alt er wohl sein mochte. Sie schätzte ihn auf 16, höchstens 17. Sein Gesicht
trug noch kindliche Züge.
»B-Jugend,
Regionalliga. Nichts Besonderes.« Die Beine begannen, ihm weh zu tun, die Hocke
war unbequem, und so setzte er sich neben sie auf den Boden, der sich um diese Tageszeit
schon wieder abkühlte und sich feucht anfühlte. »Sind Sie vom ›Ahrstübchen‹?«
Caro nickte.
»Wenn du magst, bist du zur Eröffnung herzlich eingeladen. Deine Familie und deine
Freunde natürlich auch.«
»Ich glaube,
meine Eltern haben am 02. Mai schon etwas vor.« Ben dachte an das Gespräch heute
Morgen am Küchentisch. Seine Mutter war gar nicht gut auf die Frauen aus Köln, die
dem Bürgermeister das Restaurant vor der Nase weggeschnappt hatten, zu sprechen
gewesen. Sie wusste, dass sie Dieter Schmitz, dem Eigentümer des größten Weinbergs
der Gegend und auch des ›Ahrstübchens‹, schöne Augen gemacht hatten. Das hatte zumindest
Ines erzählt, seine Frau, und sich furchtbar darüber aufgeregt. Inzwischen kannte
bereits der ganze Ort die Geschichte.
Ben fragte
sich, ob es wohl stimmte.
»Schade,
dass deine Eltern keine Zeit haben, aber du und deine Freunde? Ihr könntet doch
ruhig kommen.«
In Bens
Gesicht stieg wieder eine leichte Röte. »Ich frage mal, vielleicht haben sie ja
Lust. Aber wir haben vor, nach Köln zu fahren und ein Spiel vom 1. FC zu sehen.
Gegen Freiburg. Und hinterher wollen wir noch um die Häuser ziehen.«
Caro nickte
und lachte. »Da kann natürlich ein ›Ahrstübchen‹ nicht gegen an. Wo geht ihr nach
dem Spiel hin?«
»Irgendwo
in die Altstadt, da gibt’s ja genug Kneipen.«
»Und jede
Menge Kölsch«, sagte Caro sachverständig. Oft genug war sie mit Freunden oder ihren
Fußballern in der Altstadt unterwegs gewesen, und natürlich wurden alle Verwandten,
die von weit her kamen, als Erstes dorthin geführt. Die Kölschen Köbesse, Röggelchen
und Hämchen hatten eben alles, was man zum Auftakt eines feuchtfröhlichen Abends
benötigte. »Du kannst mich übrigens ruhig duzen, wenn du magst.«
Ben wurde
schon wieder rot.
Herrje,
dachte Caro, was hat er denn? Da gebe ich mir alle Mühe, ihm Vertrauen einzuflößen,
aber der Junge ist so schüchtern, als hätte er noch nie mit einer Frau geredet.
»Wann beginnt denn dein Training?« fragte sie, um ihn
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