Mit 50 hat man noch Träume
Frauen gut«, sinnierte Caro mit einem Seitenblick auf
Ulrike und fragte: »Habt ihr eigentlich bemerkt, wie Ines Schmitz uns gemustert
hat?«
»Vor allem
dich.« Bruni wurde auf einmal heiß und sie spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach.
Rasch stand sie auf und öffnete ein Fenster, was die Freundinnen kommentarlos hinnahmen.
Sie setzte sich wieder und nahm sich vor, demnächst ein Buch über Heilpflanzentherapie
in den Wechseljahren zu besorgen. Manche Pflanzen beinhalteten Östrogene und boten
somit eine geeignete Alternative zur Hormonersatztherapie, die in der Regel auf
synthetischer Basis beruhte und die sie strikt ablehnte, da sie den Langzeitnebenwirkungen
nicht traute. Phytoöstrogene wirkten zwar in weitaus geringerem Maß, aber einen
Versuch war es wert. Außerdem würde sie sich auch einmal mit bioidentischen Hormonen
auseinandersetzen und dann mit ihrer Ärztin reden.
Neidisch
betrachtete sie Caro, die selbst in diesem erschöpften Zustand noch ganz passabel
aussah. Sie nippte an ihrem Wein. Es liegt nicht allein an ihrer Figur und den blonden
Haaren, dachte sie, es liegt an ihrer Haltung. Sie hat Anmut . Schon als Bruni
sie das erste Mal gesehen hatte, war ihr die Weichheit ihrer Bewegungen aufgefallen,
die Art, wie sie sich übers Haar strich, wie sie ging. Nicht die Spur von Affektiertheit.
Bruni wusste, dass sie selbst mit ihren 1,80 Meter und den langen Gliedmaßen eher
ungelenk wirkte. Früher hatte sie mit ihrem eigenen Aussehen gehadert, doch inzwischen
nicht mehr. Sie hatte sich mit ihrem Körper ausgesöhnt. Er war Teil ihrer Persönlichkeit,
aber eben nur ein Teil. Wichtig war doch, was man im Kopf hatte.
»Als dieser
Junge mit seinem Freund hereinschneite und bis über beide Ohren rot wurde, als er
dich begrüßte, hat Ines Schmitz das übrigens genau registriert«, sagte Bruni und
fragte: »Wer war das eigentlich?«
»Ben Stur,
ein ganz süßer Junge«, antwortete Caro und sagte: »Habe ihn neulich kennengelernt.
Übrigens, warum hast du uns nichts von dem Qi Gong erzählt? Wenn ich es richtig
verstanden habe, hat Wang San uns doch alle zu den morgendlichen Übungen eingeladen,
nicht nur dich, oder?«
Bruni nahm
einen Schluck Wein. »Nun starrt mich nicht so an.« Sie senkte den Blick, und da
die Freundinnen immer noch auf eine Erklärung warteten, sagte sie schließlich: »Ich
werde ja wohl auch mal was ohne euch machen dürfen.«
»Du hast
dich in ihn verguckt?«, fragte Ulrike und setzte sich auf. »Ich meine, ernsthaft?
Findest du, er passt zu dir? Glaubst du, daraus kann etwas werden?«
Bruni blinzelte.
»Warum nicht?« Dann lächelte sie die Freundinnen an, befeuchtete den rechten Zeigefinger,
rieb sich das Auge, und nach einem kurzen Moment blies sie die daran haftende Wimper
kraftvoll in die Luft.
13
Lao Wang war ein Meister im Spiel
der Striche. Er beugte sich über den großen, flachen Stein, der vor ihm auf dem
Tisch lag, und führte mit ruhiger Hand den Pinsel. Zeit und Raum flossen ineinander,
und er war erfüllt von tiefer Harmonie.
» Alles
ist von selbst, wie es ist «, dachte er und vollendete mit einem einzigen Zug
das chinesische Zeichen für Energie.
Mei Ling
war leise zur Tür hereingekommen, ohne dass er es bemerkt hatte. Sie trat näher
und beugte sich über die Schulter ihres Vaters. »Es ist dir wirklich gelungen.«
Lao Wang
sah auf. »Findest du? Aber nein, es könnte noch vollkommener sein.« Seit seiner
Kindheit übte er sich in der Kunst der chinesischen Kalligrafie, doch obwohl er
als Kalligraf einen Namen besaß, schien ihm keines seiner Werke mustergültig. Die
äußere Schönheit eines Bildes lebte von seiner inneren Kraft, und die war stets
im Wandel.
»Ich suche
einen Platz im Garten dafür«, sagte Mei Ling.
»Nein, warte
noch ein bisschen. Ich male morgen ein neues.«
Mei Ling
drang nicht weiter in ihn. Sie wusste, dass ihr Vater ein Perfektionist war, der
bei der Betrachtung eines kalligrafischen Zeichens auf die Harmonie der Schwingungen
achtete, die es in seinem Inneren auslöste. Gab es auch nur die leiseste Ahnung
einer Disharmonie, begann er von vorn.
Lao Wang
erhob sich. Seine Knochen taten ihm weh, er spürte täglich mehr, dass das Alter
seinen Tribut forderte. Jeden Morgen, wenn er aufstand, wunderte er sich, dass seine
Beine ihn immer noch trugen. In letzter Zeit hatte er sich oft wie eine brüchige
Rikscha gefühlt, die übers Pflaster schwankte.
Er deutete
vor sich auf einen kleinen Tisch, auf dem ein Stapel Briefe lag.
Weitere Kostenlose Bücher