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Mit 50 hat man noch Träume

Mit 50 hat man noch Träume

Titel: Mit 50 hat man noch Träume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bärbel Böcker
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wohlgesonnen
war und das ihnen im Laufe der Jahre vertraut geworden war. Doch offensichtlich
hatten sie sich getäuscht. Sie schienen etwas übersehen zu haben. Wang San strich
sich über die Stirn. Aber sie waren sich einig. Sie wollten sich nicht von ihrer
plötzlichen Einsamkeit, dem Gefühl angefeindeter Fremdheit, beherrschen lassen.
    »Hat der
Anschlag auch Konsequenzen für Ihren Restaurantbetrieb?«, fragte der Reporter.
    Wang Sans
Mund war trocken, als er antwortete. »Ja, bis einschließlich nächster Woche haben
wir den Betrieb geschlossen, wir fühlen uns momentan zu nichts anderem in der Lage.«
    »Und der
Verdienstausfall?«
    Wang San
zuckte die Schultern. Er bemerkte die Silhouette seines Vaters am Fenster, der von
dort aus, halb versteckt hinter einer Gardine, zu ihm herüber sah. Sie hatten lange
darüber nachgedacht, worin die tieferen Beweggründe für den Anschlag liegen mochten
und waren zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen. In einem waren sie sich jedoch
einig gewesen. Ein abgrundtiefer Hass musste langsam aber stetig gegen sie gewachsen
sein, und der Tempelbau war der Auslöser dafür gewesen, dass die negativen Gefühle
explodierten. Seine Familie hatte sich kopfschüttelnd gefragt, wie ein Mensch sämtliche
Moralvorstellungen über Bord werfen und bereit sein konnte, sogar den Tod von Menschen
in Kauf zu nehmen, denn genau das hatte der Brandstifter getan. Welcher Entwicklungsprozess
war dem vorangegangen? Was hatten sie übersehen, nicht bemerkt, vielleicht nicht
bemerken wollen? Dummheit als Ursache schien ihnen zwar einigermaßen erträglich,
aber zu einfach. Vermutlich steckte mehr dahinter, ein im Innersten des Menschen
verankerter Hang zur Bösartigkeit, die nur ein Ventil benötigte, um sich den Weg
an die Oberfläche zu bahnen. Die Schlussfolgerung, dass die Guten also gleichermaßen
auch die Bösen sein konnten, ließ sie Abgründe der menschlichen Seele erahnen, die
sie schaudern ließen.
    Nun, da
das Interview mit dem Journalisten beendet war, fühlte Wang San sich unendlich müde.
Wahrscheinlich begriff man die Spezies Mensch erst dann, wenn man sehenden Auges
seine Fähigkeit zur Bösartigkeit begriff, in all ihrer Komplexität, dachte er. Was
hatte sein Vater erst gestern noch zu ihm gesagt?
    »Es gibt
Grenzen, die man überschreiten muss, um die Welt zu verstehen.«

46
     
    Während Ulrike in Köln mit ihren
Söhnen um den Decksteiner Weiher lief und an einer flachen Uferstelle den Enten
Brotkrumen aufs Wasser streute, betrat ein Mann mit Rastalocken, die ihm bis auf
die Schultern fielen, das ›Ahrstübchen‹ in Altenahr.
    »I am looking
for Ulrike Maifeld, does she work here?«, wandte er sich mit einem freundlichen
Lächeln an Bruni, die mit fachkundiger Miene die Krone des Pils’ in Augenschein
nahm, das sie gerade für Dieter Schmitz zapfte. Er saß mit einigen seiner Freunde
im hinteren Teil des Restaurants und aß zu Mittag. Bruni fand, dass ihre Schaumkronen
von Woche zu Woche preisverdächtiger aussahen. Wie immer trug sie eine weite Hose,
darüber einen hellgelben, leichten Sommerrolli. Die neuen Kleider, die sie in Rodenkirchen
gekauft hatte, hatte sie in der hintersten Ecke ihres Kleiderschranks verstaut.
    »Yes, she does. But at the moment she is not here. She went
to Cologne«, antwortete sie, von ihrem Zapfhahn aufblickend. Neugierig sah sie den
Schwarzen an. Sie schätzte ihn auf Ende 30. Er trug eine Jeans, dazu ein bunt geblümtes
Hemd, und im rechten Ohr glänzte ein silberner Ring. Der Mann war ein optisches
Highlight.
    »Schade«,
sagte er plötzlich auf Deutsch und fügte mit deutlichem Akzent hinzu: »Isch möschte
ein Bier, bitte.« Er zog den Barhocker heran und setzte sich, während Bruni ein
Glas aus dem Regal griff und erneut den Zapfhahn betätigte.
    »Sie sprechen
Deutsch?«, fragte sie überrascht.
    Er nickte.
»A little bit. Ein bisschen«, sagte der Schwarze, und schüttelte seine Rastalocken.
»Habe isch von eine deutsche Freundin gelernt. Aber mein Deutsch is nix gut.«
    In diesem
Moment kam Caro aus dem hinteren Teil des Restaurants und setzte die von Bruni auf
der Theke abgestellten Getränke auf das Tablett. Fasziniert blieb sie stehen und
starrte den Mann an.
    »Isch heiße
John.« Mit diesen Worten streckte er ihr seine riesige Hand entgegen, die perfekt
zu dem großen, massigen Körper passte, wie Caro fand. Irgendwie erinnerte er sie
an einen amerikanischen Footballspieler.
    Dann gab
er auch Bruni über die Theke hinweg die

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