Mit 80 000 Fragen um die Welt
sein Froschlachen. Wie viel Freude man doch mit der deutschen Sprache haben kann. Aber zurück zum Thema.
«Wie komme ich nach Nordkorea?»
«Ähm …»
Sein «Ähm» wird immer länger. Plötzlich zögert der Mann. Er blickt hin und her.
«FAST UN-MÖG-LICH!»
«Unmöglich?»
«Ja, leider.»
Und hier wäre meine hübsche kleine Geschichte eigentlich zu Ende. Doch der Mann sprach eben von «fast» unmöglich. Also fangen wir noch einmal von vorn an. Frage: Wo ist Nordkorea? Antwort: im Norden von Südkorea, okay. Aber wo ist Nordkorea nachts? Da fällt die Antwort erheblich schwerer. Schon mal ein nächtliches Satellitenbild von der koreanischen Halbinsel studiert? Der Süden ist hell erleuchtet, der Norden irgendwie dunkel. Stockdunkel. Diktator Kim Jong-il hat sein Schattenreich so abgewirtschaftet, dass es nicht mal seine Straßen beleuchten kann.
Aber zu jeder Tag- und Nachtzeit findet man Nordkorea auch in Südkorea. Offiziell leben hier 16 000 Flüchtlinge aus dem Norden. Und immer wieder treffen wir jemanden, der «drüben» noch Verwandte hat oder zumindest hofft, dass es den Bruder, die Schwester, den Sohn oder die Tochter noch gibt. Die Teilung ihres Landes beschäftigt die Koreaner,ähnlich wie es den Ost- und Westdeutschen zu Mauerzeiten ging. Und mitten in Seoul steht ein symbolisches Stück Berliner Mauer.
Ich besuche das südkoreanische Ministerium für Wiedervereinigung, ein hochgesicherter Betonklotz im Herzen der Stadt. Herr Chun, Sprecher des Ministers, erwartet mich bereits. Der freundliche Herr im Anzug, filigrane Züge und penibel gekämmte Haare, mustert mich etwas skeptisch. Ich entschuldige mich wortreich für mein Äußeres – die Turnschuhe, die verschlissenen Hosenbeine, die grüne Jacke mit den Schulterklappen und das dreckige Ringel- T-Shirt darunter. «Bitte fassen Sie das nicht als Respektlosigkeit auf», sage ich, «die Deutschen kennen mich nun mal so.» Herr Chun lächelt und reicht mir seine Visitenkarte. Ich gebe ihm meine.
Was nun passiert, ist von äußerster diplomatischer Wichtigkeit. In Asien sind Visitenkarten nicht nur ein Stück Pappe, sondern Teil deiner Persönlichkeit. Wenn dir jemand seine Karte gibt, dann nimm sie in beide Hände und lies sie aufmerksam durch. In meinem Fall erübrigt es sich zwar – die Schriftzeichen sind koreanisch. Trotzdem schenke ich der Karte genügend Wertschätzung, betrachte sie ausführlich und nicke Herrn Chun dabei immer wieder freundlich zu. Er tut dasselbe. Nach einer halben Minute lege ich die Visitenkarte vor mir auf den grünen Ministertisch. Dort sollte sie während des ganzen Gesprächs liegen bleiben, auch das ist sehr wichtig.
Neben der Karte des Sprechers liegt die Karte seiner Kollegin. Herr Chun versteht zwar gut Englisch, spricht es aber selten und möchte sein Land nicht stammelnd repräsentieren. Deshalb übersetzt eine junge Frau mit Pagenkopf, sie hat neben Herrn Chun Platz genommen und hält Zettelund Stift bereit. Beide sitzen mir erwartungsvoll gegenüber. Das Protokoll sieht nun vor, dass ich die erste Frage stelle. Ich muss zugeben: Ich bin etwas nervös.
«Wissen Sie … nun ja, ein Zuschauer hatte da so eine Frage: Wo ist Nordkorea?»
Der Sprecher legt seine Stirn in Falten und blickt mich ratlos an. Schnell eine andere Frage.
«Nun ja, stimmt es, dass man in Südkorea nichts Gutes über Nordkorea sagen darf?»
(So steht es immerhin im Nationalen Sicherheitsgesetz: Wer das Bruderland öffentlich lobt oder gar verherrlicht, der muss mit einer Haftstrafe rechnen.)
Herr Chun gibt eine ausführliche Antwort in allerbestem Koreanisch. Obwohl ich natürlich kein Wort verstehe, blicke ich ihm dabei achtsam in die Augen und nicke fortwährend bei jedem Satz. Chun beginnt zu lächeln, und auch meine Mundwinkel zucken.
«Mister Chun, ich würde Sie wahnsinnig gern verstehen!»
Jetzt bricht der Sprecher des Ministers in schallendes Gelächter aus. Auch die Übersetzerin stimmt mit ein. Mein großes politisches Interview mutiert zu einem Kaffeekränzchen. Doch glücklicherweise gibt es eine Sprache, die jeder versteht: Musik. Herr Chun erzählt von einem Lied, das alle koreanischen Schüler lernen. Im Süden wie im Norden.
«Der Name des Liedes ist: ‹Unsere Hoffnung ist die Wiedervereinigung›», erklärt die Übersetzerin.
«Und wäre es möglich, dass Sie mir etwas daraus vorsingen?»
Schon wieder lacht Herr Chun. Aber jetzt hat er ein Problem: Es gilt in Asien als ausgesprochen
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