Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit 80 000 Fragen um die Welt

Mit 80 000 Fragen um die Welt

Titel: Mit 80 000 Fragen um die Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dennis Gastmann
Vom Netzwerk:
unhöflich, seinem Gast einen Wunsch abzuschlagen. Singt er nicht, dannverliere ich mein Gesicht. Singt er aber falsch – noch dazu im deutschen Fernsehen   –, steht er dumm da. Herr Chun lächelt verlegen, seine Übersetzerin grinst und kritzelt etwas auf ihr Papier. Dann passiert es. Der Sprecher des südkoreanischen Ministers für Wiedervereinigung sammelt sich und beginnt zu singen. Mit bebender Stimme und zitternden Lippen versucht Herr Chun, dieses Kinderlied von nationaler Bedeutung seriös über die Bühne zu bringen. Dabei blickt er mich mit gebotenem Ernst an: «Unsere Hoffnung ist die Wiedervereinigung», trällert er, «wir träumen von der Wiedervereinigung, lasst uns die Wiedervereinigung schaffen. Mit all unserer Kraft.»
    Der Einheitssong dauert gefühlte zehn Minuten. Währenddessen starrt die Übersetzerin auf die Tischplatte und kichert. Auch ich kann mich kaum bremsen. Und nach der letzten Silbe bricht es aus uns allen heraus. Mit Tränen in den Augen diktiert Herr Chun einen letzten Satz. Seine Kollegin sieht ihn kurz fragend an, dann übersetzt sie:
    «Herr Chun sagt, das war sein interessantestes Interview, seit er Sprecher dieses Ministeriums geworden ist.»
    «Oh, vielen Dank», antworte ich, und ein letztes Mal lachen wir drei Spaßvögel im Chor. Jetzt aber Schluss mit lustig – wo ist Nordkorea?
    Es ist nicht besonders weit weg, nur fünfzig Kilometer trennen Seoul von der Nord-Süd-Grenze. Manche machen daraus ein Geschäft: In der Lobby unseres Hotels entdecke ich den Prospekt eines südkoreanischen Reiseunternehmens. Darin bieten sie geführte «Adventure-Tours» in das Grenzdorf Panmunjeom an. Der Prospekt ist geschmackvoll gestaltet mit bunten Fotos von Soldaten, Stacheldraht und Wachhunden. Auf der Vorderseite sind drei Einschusslöcher aufgemalt: «We invite you to a special tour, where youcan feel the reality and pain of the only separated nation in the world.»
    «Reality and pain» – das macht mich neugierig, doch der Produzent erinnert mich daran, dass wir seriöse politische Journalisten sind. Zumindest seien wir das vor unserer Weltreise einmal gewesen. Also buchen wir eine seriöse Pressetour und nehmen in aller Frühe ein Taxi in Richtung Grenze. Es beginnt zu regnen, Morakot ist uns auf den Fersen. Vor ein paar Tagen hatte der Taifun den Süden Taiwans heimgesucht, Straßen weggeschwemmt, Häuser unterspült, an der Küste rutschte ein großes Hotel einfach ins Meer. Jetzt erreichen die Ausläufer Korea und peitschen Wasser über die Scheiben unseres Wagens. Das Taxi wird immer langsamer, draußen ist nichts mehr zu erkennen. Wir schlafen ein.
    Eine Stunde später werden wir jäh aus den Träumen gerissen. «Open!» – Ein Soldat klopft ans Fenster. Der Regen hat nachgelassen, und wir halten vor einem Wachtposten. «Your ID, Sir!»
    Ich gebe dem Mann unsere Ausweise, und er verschwindet mit den Dokumenten. Nun taucht ein kleiner älterer Herr mit Karohemd und Brille auf. Mister Kim überreicht uns zwei leuchtend blaue Armbinden, die wir mit einem Klettverschluss befestigen. «MEDIA» steht darauf. Kim bittet uns in einen weißen Minibus, in dem noch weitere seriöse Nordkoreatouristen sitzen. Nun ja: eine ältere Amerikanerin mit rotgetönter Föhnfrisur, die für ein Waffenmagazin schreibt und die USA zum ersten Mal verlassen hat; ein Südkoreaner, der als Scharfschütze an der Grenze postiert war und offenbar nicht loslassen kann; und ein junger amerikanischer Soldat, der die letzten Monate im Irak verbracht hat. Kaum bin ich eingestiegen, zeigt er mir einAlbum mit Briefmarken, die er gesammelt hat. An beiden Händen fehlen mehrere Finger.
    Dann steigt noch jemand zu und stellt sich als Sergeant Meisenheimer vor. Ein U S-Soldat im beigefarbenen Flecktarn. Kaum zu glauben, aber der Sergeant sieht noch jünger aus als ich. Seine kurzgeschorenen braunen Haare versteckt er unter einer Kappe, die er tief ins Gesicht gezogen hat. Meisenheimers Miene ist ernst. Sehr ernst. Schließlich ist das hier kein Schulausflug in den Vogelpark Walsrode. An seinem Gürtel trägt der Sergeant eine Waffe, seine Armbinde ist schwarz und wesentlich größer als meine. «JSA» lese ich in weißer Schrift – «Joint Security Area». Diese sogenannte gemeinsame Sicherheitszone teilen sich die Streitkräfte Südkoreas, Nordkoreas und der Vereinten Nationen. U N-Truppen , hauptsächlich GIs.
    Meisenheimer gibt uns Instruktionen. Erstens: Zu keinem Zeitpunkt sollen wir von seiner Seite

Weitere Kostenlose Bücher