Mit 80 000 Fragen um die Welt
vorher noch jemand aufs Klo?»
Schnell ist auch diese Mission erledigt, und der Sergeant führt uns auf einen Balkon. Dort geschieht ein Wunder – plötzlich klart es auf. «So weit konnten wir noch nie sehen!», ruft ein Soldat. Überall auf dem Plateau bringen sich die vereinigten Streitkräfte in Stellung und schießen mit Handys und Digitalkameras auf den Grenzstreifen. Freie Sicht auf die Dong-Dörfer, die Weltrekord-Flagge der Nordkoreaner, Zäune, Wachtürme und die Brücke ohne Wiederkehr. Nach dem Koreakrieg tauschten beide Länder über diese Verbindung Gefangene aus.
Ansonsten ist die sogenannte Demilitarisierte Zone grün, erstaunlich grün. Und wie im ehemaligen Grenzgebiet zwischen Ost- und Westdeutschland sollen auch hier seltene Tier- und Pflanzenarten überlebt haben. Doch was heißt hier überhaupt «demilitarisiert»? Das Gelände ist voller Minen und Scharfschützen. Niemand weiß genau, was die andere Seite darin so anstellt. Ein neuseeländischer Soldat spricht mich an. Auf seiner Kappe ist ein weißer Kiwi.
«Wussten Sie, dass Südkorea im Grenzstreifen über 100 Fabriken betreibt?»
«Nein, das wusste ich nicht.»
«40 000 Nordkoreaner arbeiten darin.»
«Südkorea beschäftigt 40 000 Nordkoreaner? Warum?»
«Peace and prosperity.»
Na ja, vielleicht nutzt Südkorea auch nur billige Arbeitskräfte.
Der Himmel reißt weiter auf, und plötzlich können wir sogar über den Grenzstreifen bis nach Nordkorea blicken. Ich sehe durch ein Fernrohr und kann Gebäude erkennen: graue Hochhäuser vor Bergen mit schneebedeckten Gipfeln. Da ist auch eine Statue, etwa zwanzig Meter hoch: Kim Il-sung, der «Ewige Präsident». Er ist zwar seit über fünfzehn Jahren tot, gilt aber immer noch als offizielles Staatsoberhaupt vor Kim Jong-il. «Nordkorea gibt wohl den Großteil seines Geldes für Kim Il-sung-Statuen aus», scherzt der Kiwi. Und weil Touristen bekanntlich den Großteil ihres Geldes für sinnlose Souvenirs ausgeben, haben wir nun die Möglichkeit, zollfreie Erinnerungen an die Demilitarisierte Zone einzukaufen. DMZ- T-Shirts , DM Z-Baseballkappen , DM Z-Schnapsgläser und nordkoreanische Spirituosen. Nebenbei erfahre ich, dass Südkorea im Grenzgebiet angeblich einen Querfeldein-Radweg bauen möchte. Eine lärmende Schulklasse betritt den Laden, wir steigen zurück in den Minibus.
«Entschuldigen Sie, Sergeant Meisenheimer, wo ist Nordkorea?»
«Es ist da vorne. Wir nehmen die Hauptstraße, sie führt uns direkt an die Grenze.»
Nordkorea liegt also an einer Hauptstraße. Nach ein paar Minuten halten wir vor einem modernen Gebäude aus Glas und Beton. Meisenheimer sagt, es sei das «Freedom House», ein Konferenzzentrum, in dem offizielle Treffen zwischen Nord- und Südkorea stattfinden.
«Ab jetzt hören Sie bitte uneingeschränkt auf mein Kommando. Wir werden gleich unter sehr genauer Beobachtung der Kommunisten sein. Zeigen Sie niemals auf einen nordkoreanischen Soldaten und provozieren Sie die Männer auch nicht mit Gesten.»
Es geht zehn Treppen hinauf und zehn Treppen herunter. Dann verlassen wir das Freiheitshaus auf der Rückseite und blicken zu unserer Verwunderung auf ein fast baugleiches Gebäude auf nordkoreanischer Seite. «Das ist kein Zufall, Sir», sagt Meisenheimer, «die Kommunisten haben sogar noch eine dritte Etage auf ihr Gebäude gesetzt, damit es mächtiger aussieht als unseres.»
Auf den Treppen des geklonten Freiheitshauses steht ein nordkoreanischer Soldat. Er ist fesch gekleidet: brauner Anzug mit bunten Abzeichen und goldenen Knöpfen, braune Generalsmütze, brauner Gürtel, goldene Schnalle. Der Mann beobachtet uns durch ein Fernglas.
Vor unserem Freiheitshaus verharren mehrere südkoreanische Soldaten in Taekwondo-Stellung und blicken auf Nordkorea: die Beine auseinander, Oberkörper gespannt, Fäuste geballt. Sie sind lässiger gekleidet als ihre kommunistischenKollegen: olivgrüne Hose, graues Hemd, olivgrüner Helm. Außerdem tragen sie auffallend große Sonnenbrillen in Tropfenform, ich glaube, die inoffizielle Bezeichnung ist Pornobrille.
«Eine Sonnenbrille hilft! Die Nordkoreaner schneiden gerne Grimassen oder zeigen uns den Mittelfinger», ruft Meisenheimer.
Und so starren sich nord- und südkoreanische Brüder aus wenigen Metern Entfernung regungslos an. 24 Stunden am Tag. 365 Tage im Jahr. Zwischen ihnen sind mehrere Baracken. Die silbernen gehören Nordkorea, die blauen den Vereinten Nationen.
«Sie sehen vor jeder
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