Mit 80 000 Fragen um die Welt
menschliche Überreste, etwa 800 000 Jahre alt. Was für eine Sensation! Bis dahin war die Wissenschaftnochweithindavonausgegangen, der Mensch sei nur wenige hunderttausend Jahre alt und stamme aus Europa oder Asien. Nun gab es kein Halten mehr. Wissenschaftler aus aller Welt kamen nach Äthiopien und pflügten das ganze Land um.
Ihre Funde liegen heute im äthiopischen Nationalmuseum, mitten in Addis Abeba. Homo erectus (600 000Jahre), Paranthropus boisei (1,4 Millionen) und Australopithecus afarensis (3,3 Millionen), besser bekannt als «Lucy». Die etwa 1,20 m große Dame galt lange Zeit als unsere Urmutter, bis Dr. Berhane eine noch ältere Urmutter ausbuddelte: «Ardi», 4,5 Millionen Jahre alt. Ich treffe Dr. Berhane in einem Raum voller Knochen auf der Rückseite des Nationalmuseums. Seit der Entdeckung von Ardi ist der Doktor ein weltweit gefragter Mann.
«Ich gebe Ihnen fünf Minuten. Danach werde ich sehr, sehr teuer.»
Dr. Berhane ist ein kleiner, kerniger Mann mit grauem Haarkranz und einer Adlernase. In seinem Blick ist Adrenalin. Die Entdeckung von Ardi hat den Doktor schlagartig berühmt gemacht, seither ist ihm die Pressemeute des gesamten Planeten auf den Fersen.
Berhane drückt mir eine Replik von Ardis Schädel in die Hand.
«Ist das hier mein Vorfahre?»
«Das ist unser Vorfahre, Ardi ist der Vorfahre aller Menschen. Wir haben auf der ganzen Welt noch kein älteres menschliches Skelett entdeckt.»
Und dieser Ardi sei weder Mensch noch Affe. Eher ein kleiner Vormensch, der auf zwei Beinen lief und vermutlich Nüsse und Insekten frühstückte.
«Also könnte Äthiopien tatsächlich die Wiege der Menschheit sein?»
«Sagen wir so: Die ältesten menschlichen Überreste haben wir hier in Äthiopien gefunden. Und solange wir nicht irgendwo anders irgendetwas Älteres ausgraben, weist alles auf Äthiopien hin.»
«Ich komme also aus Afrika?»
«Jeder Mensch, jede Person, die du auf dieser Erde siehst,kommt ursprünglich aus Afrika», sagt der Doktor, und die fünf Minuten sind um.
«Ihre allerletzte Frage!»
Und plötzlich – mitten in Äthiopien – muss ich an Wilma Brunkhorst denken.
«Sagen Sie, Dr. Berhane, wenn wir beide verwandt sind, warum bin ich dann weiß und Sie schwarz?»
Der Doktor zögert keine Sekunde mit einer Antwort.
«Bei Ihnen in Deutschland scheint die Sonne nicht so stark. Deshalb kann Ihre Haut mehr Vitamine aus dem Sonnenlicht ziehen als meine. Jetzt wissen Sie alles über Rasse.»
Darum ist der «Neger» also schwarz – schöne Grüße an den Deich. Aber zurück zum Thema. Adam und Eva waren also kleine, affenähnliche Wesen, die sich von Insekten ernährten. Und sie waren schwarz. So wie der liebe Gottvermutlich auch, schließlich ist die Sonneneinstrahlung bei ihm im Himmel noch deutlich stärker als hier in Afrika. Das bedeutet also: Äthiopien, eines der ärmsten Länder dieser Erde, muss einmal das Paradies gewesen sein. Oder doch nicht?
Ich suche kirchlichen Beistand und finde ihn direkt neben dem äthiopischen Nationalmuseum. Das Patriarchat der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche befindet sich auf dem Nachbargrundstück – allerdings liegen dazwischen wohl Welten. «Gehen Sie da nicht hin», hatte mir Dr. Berhane geraten, «Sie verschwenden nur Ihre Zeit.» Aber ich will es wissen. Was sagt eine der mächtigsten Religionsgemeinschaften der Erde zu meinen Erkenntnissen? Die Äthiopische Kirche hat viele Millionen Mitglieder, der Patriarch, seine Heiligkeit Abune Paulos, ist hier so angesehen wie in Europa der Papst.
Entsprechend ehrfürchtig passiere ich die Pforte. In der Hand halte ich ein Empfehlungsschreiben, das mir die Äthiopische Kirche vor der Reise zugefaxt hatte. Man erwarte mich, freue sich sehr auf meine Fragen und werde alles möglich machen, damit mein Besuch in Äthiopien erfolgreich werde. Der Brief endet mit den Worten: «May the Almighty God bless us all!» Darunter das Siegel von Abune Gerima, dem Sprecher des Patriarchen. Halleluja. Ich bin im Namen des Herrn unterwegs.
Das Haupttor ist eingerahmt von zwei überdimensionalen weißen Tauben, eine trägt einen Zweig im Schnabel. Abune Gerimas Siegel öffnet alle Türen. Sofort lassen mich die Wachen passieren, als würde ich die Bundeslade vor mir hertragen. Drinnen begrüßen mich Mönche, sie tragen schwarze Gewänder, schwarze Turbane und führen mich zu Abune Gerimas Haus. Dort steht mir ein alter Mann gegenüber.Er trägt eine rote
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