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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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Kopf zu, betrachtete sie müde aus diesen blauen Augen. »Ich will nicht allein sterben«, sagte er.
    »Blödsinn. Allein ist man immer. Wird allein geboren.
Stirbt allein. Was für einen Unterschied macht das? Solange man nicht jahrelang in einem Heim vor sich hin rottet wie mein armer Mann. Davor habe ich Angst.« Sie zog an ihrer Jacke, hielt die Ränder mit der Faust zusammen. Dann musterte sie ihn kritisch. »Sie haben wieder Farbe. Können Sie sich wirklich an gar nichts erinnern?«
    Jack Kennison starrte auf den Fluss. »Ich war spazieren. Ich hab die Bank gesehen und mich müde gefühlt. Also hab ich mich hingesetzt, und mir ist schwindlig geworden. Ich hab den Kopf zwischen die Beine gesteckt, und das Nächste, was ich mitgekriegt habe, war, dass ich auf dem Boden lag und eine Frau mir ins Ohr plärrte: ›Sind Sie tot?‹«
    Olives Wangen wurden heiß. »Sie wirken von Minute zu Minute weniger tot«, sagte sie. »Meinen Sie, Sie können laufen?«
    »Ich versuch’s gleich. Ein bisschen würde ich hier gern noch sitzen.«
    Olive warf einen Blick zu ihm hinüber. Er weinte. Sie schaute weg und sah ihn aus den Augenwinkeln in seine Tasche greifen, und dann hörte sie, wie er sich schnäuzte, ein energischer Trompetenstoß.
    »Meine Frau ist im Dezember gestorben«, sagte er.
    Olive sah auf den Fluss hinaus. »Das heißt, Sie machen die Hölle durch.«
    »Genau das heißt es.«
     
    Sie saß im Wartezimmer des Arztes und las eine Zeitschrift. Nach einer Stunde kam die Sprechstundenhilfe zu ihr und sagte: »Mr. Kennison macht sich Sorgen, weil Sie so lange warten müssen.«
    »Sagen Sie ihm, das soll er schön bleiben lassen. Mir geht’s bestens.« Und es stimmte. Sie fühlte sich sogar so wohl wie seit langem nicht mehr. Es hätte sie nicht gestört, wenn es
den ganzen Tag gedauert hätte. Sie las in einem Nachrichtenmagazin, was sie bestimmt seit Monaten nicht mehr gemacht hatte - überblätterte hastig eine Seite, um das Gesicht des Präsidenten nicht sehen zu müssen. Diese engstehenden Augen, das vorgeschobene Kinn; der Anblick bereitete ihr geradezu körperliches Unbehagen. Sie hatte schon einiges mitgemacht in diesem Land, aber ein solches Trauerspiel wie jetzt noch nie. Das ist mal jemand, der debil aussieht, dachte Olive, der die Bemerkung der Frau in Moodys Laden wieder einfiel. Schon diese dümmlichen kleinen Augen sagten doch alles. Und so einen Mann hatten die Amerikaner ins Amt gewählt! Einen Religionsfanatiker mit einem Kokainproblem! Sie hatten es verdient, in der Hölle zu schmoren, und sie würden in der Hölle schmoren. Leid tat es ihr nur für Christopher, ihren Sohn. Und für Christophers kleinen Jungen. Sie war sich nicht sicher, ob er noch eine Welt vorfinden würde, in der es sich zu leben lohnte.
    Olive legte das Magazin weg und lehnte sich bequem zurück. Die Eingangstür öffnete sich, und herein kam Jane Houlton und nahm unweit von Olive Platz. »Das ist ja ein hübscher Rock«, sagte Olive, obwohl sie nie viel für Jane Houlton übrig gehabt hatte; sie war zu verhuscht für ihren Geschmack.
    »Den hab ich sogar ganz billig bekommen, in einem Laden in Augusta, der Räumungsverkauf hatte.« Jane fuhr mit einer Hand über den grünen Tweed.
    »Ach, wie schön«, sagte Olive. »So ein Schnäppchen darf man sich nicht entgehen lassen.« Sie nickte beifällig. »Sehr gut.«
     
    Sie fuhr Jack Kennison zu dem Parkplatz unten am Fluss, damit er sein Auto holen konnte, und dann folgte sie ihm in ihrem Wagen nach Hause. In der Einfahrt seines Hauses am
Rand der Wiese fragte er: »Möchten Sie mit reinkommen und kurz was essen? Ein Ei oder eine Dose Baked Beans finde ich sicher.«
    »Nein«, sagte Olive. »Schonen Sie sich lieber. Sie hatten schon genug Aufregung für einen Tag.« Der Arzt hatte alle möglichen Untersuchungen durchgeführt, und so wie es aussah, fehlte ihm nichts Gravierendes. Stressbedingte Erschöpfung, so die vorläufige Diagnose des Arztes. »Und der Hund war den ganzen Vormittag im Auto eingesperrt«, fügte Olive hinzu.
    »Wie Sie möchten«, sagte Jack. Er hob die Hand. »Vielen Dank noch mal.«
    Als sie heimfuhr, fühlte Olive sich leer. Der Hund winselte, und sie befahl ihm, damit aufzuhören, und er rollte sich auf dem Rücksitz zusammen, als hätten die Strapazen des Morgens auch ihn erschöpft. Sie rief ihre Freundin Bunny an und erzählte ihr, wie sie auf dem Weg unten am Fluss fast über Jack Kennison gestolpert wäre. »Ach, der Ärmste«, sagte Bunny, deren

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