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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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sind?«
    »Ich hab mich hingesetzt, weil ich Lust dazu hatte.«
    Sie winkte, ohne sich umzudrehen, und marschierte weiter. Sie nahm nichts wahr für den Rest des Wegs, nicht die Sonne, nicht den Fluss, nicht den Asphalt unter ihren Füßen, nicht die sprießenden Knospen. Sie ging und dachte an Jack Kennison, daran, wie es wohl für ihn war ohne seine Frau, die Freundliche der beiden. Die Hölle, hatte er gesagt, und wen wunderte es.
    Als sie wieder daheim war, rief sie ihn an. »Hätten Sie Lust, mal Mittagessen zu gehen?«
    »Lieber Abendessen«, sagte er. »Dann hätte ich etwas, auf das ich mich freuen kann. Wenn ich Mittagessen gehe, bleibt immer noch der restliche Tag.«
    »Ist gut.« Sie sagte ihm nicht, dass sie mit den Hühnern zu Bett ging, dass ein Abendessen in einem Restaurant für sie fast schon einer Mitternachtsparty gleichkam.
     
    »Ach, wie nett«, sagte Bunny. »Olive, du hast ein Rendezvous.«
    »Was für einen Blödsinn redest du da?«, fragte Olive erbost. »Wir sind zwei einsame Leute, die zu Abend essen.«
    »Sag ich doch«, sagte Bunny. »Ein Rendezvous.«
    Seltsam, wie sehr es Olive ärgerte. Und sie konnte es nicht einmal Bunny erzählen, denn es kam ja von Bunny selbst. Sie rief ihren Sohn an, der in New York wohnte. Sie fragte, wie es dem Kleinen ging.

    »Der ist eine Wucht«, sagte Christopher. »Er läuft jetzt.«
    »Du hast mir gar nicht erzählt, dass er laufen kann.«
    »Doch, er läuft jetzt.«
    Augenblicklich brach ihr der Schweiß aus, sie spürte ihn im Gesicht, unter den Achseln. Es war beinahe wie damals, als man ihr sagte, dass Henry gestorben war - als der Anruf vom Heim erst in der Früh kam. Und jetzt stapfte ein kleiner Nachkomme von ihr und Henry durch das düstere Wohnzimmer eines großen alten Backsteinhauses, fern in dem fremden Land New York. Eine Einladung bekam sie sicher nicht; ihr letzter Besuch dort war, vorsichtig ausgedrückt, in die Hose gegangen. »Chris, vielleicht habt ihr ja Lust, im Sommer für ein paar Tage herzukommen?«
    »Vielleicht. Mal sehen. Wir sind hier natürlich voll eingespannt, aber klar, nett wär’s schon. Mal sehen.«
    »Seit wann läuft er denn schon?«
    »Seit letzter Woche. Er hat sich einfach an der Couch hochgezogen, uns angestrahlt, und ab ging die Post. Drei ganze Schritte, bevor er umgekippt ist.«
    So wie er klang, hätte man meinen können, kein Kind auf dieser Welt hätte je laufen gelernt.
    »Und wie geht’s dir, Mom?« Sein Glück hatte ihn weicher gemacht.
    »Du weißt schon. Das Übliche. Erinnerst du dich an Jack Kennison?«
    »Nein.«
    »Ach, so ein dicker Trampel, dem letzten Dezember die Frau gestorben ist. Traurig. Wir gehen nächste Woche was essen, und Bunny musste gleich von einem Rendezvous reden. So was Dämliches . Ich hab mich richtig geärgert.«
    »Iss ruhig mit ihm. Nimm’s als Nachbarschaftshilfe.«
    »Genau«, sagte Olive. »Genau so seh ich das auch.«

    Es blieb lange hell jetzt im Frühsommer, und Jack schlug vor, sich um halb sieben im Painted Rudder zu treffen. »Da müsste es schön sein um diese Zeit, so direkt am Wasser«, sagte er, und Olive stimmte zu, obwohl gerade die Zeit sie beunruhigte. Fast ihr ganzes Leben hatte sie um fünf Uhr zu Abend gegessen, und dass er es (allem Anschein nach) nicht tat, war nur ein weiteres Indiz, dass er ein Mensch war, von dem sie nichts wusste und im Zweifel auch nichts wissen wollte. Sie hatte ihn von Anfang an nicht leiden können, und es war idiotisch, sich auf ein Abendessen eingelassen zu haben.
    Er bestellte sich einen Wodka Tonic, und auch das störte sie. »Wasser, bitte«, sagte sie mit fester Stimme zu der Kellnerin, die nickte und verschwand. Sie saßen über Eck an einem Vierertisch, so dass sie beide auf die Bucht mit ihren Segelbooten und Hummerbooten und den Bojen hinaussehen konnten, die kaum merklich im Abendwind wippten. Er schien ihr viel zu nah; sein großer, haariger Arm lagerte so breit vor seinem Glas. »Ich weiß, dass Henry lange im Pflegeheim war, Olive.« Mit seinen sehr blauen Augen sah er sie an. »Das muss schlimm gewesen sein.«
    So redeten sie eine Weile, und eigentlich war es nett. Sie brauchten beide jemanden zum Reden, jemanden, der zuhörte, und das bekamen sie. Sie hörten sich zu. Redeten. Hörten weiter zu. Harvard erwähnte er mit keiner Silbe. Die Sonne ging schon hinter den Booten unter, da saßen sie noch bei ihrem koffeinfreien Kaffee.
    Die Woche darauf trafen sie sich mittags in einem kleinen Lokal am Fluss.

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