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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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nicht leiden kannst.«
    »Das war kein Rendezvous, Himmel noch mal.«
    »Na gut, aber wie war’s?«
    »Ein Traum«, sagte sie. »Er ist ein Depp, und dein Vater wusste es von Anfang an.«
    »Daddy hat ihn gekannt?«, sagte Christopher. »Das hast du mir gar nicht erzählt.«
    »Nicht richtig gekannt«, sagte Olive. »Nur vom Sehen. Gut genug eben, um zu merken, dass er ein Depp ist.«
    »Theodore weint«, sagte Christopher. »Ich muss Schluss machen.«
    Und dann - als erschiene ein Regenbogen am Himmel - rief Jack Kennison an. »Morgen soll es aufklaren, hieß es. Treffen wir uns am Fluss?«
    »Von mir aus«, sagte Olive. »Abmarsch um sechs.«
    Als sie am nächsten Morgen auf den Kiesparkplatz am Fluss einbog, lehnte Jack Kennison an seinem roten Auto und nickte, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen. Er trug eine Windjacke, die sie noch nicht an ihm kannte, blau - passend zu seinen Augen. Sie musste ihre Turnschuhe aus dem
Kofferraum holen und sie vor ihm anziehen, was sie ärgerte. Sie hatte sie in der Herrenabteilung gekauft, ganz kurz nach Henrys Tod. Breite, beigefarbene Treter, aber sie bekam sie zu, sie konnte laufen darin. Sie richtete sich auf, schwer atmend. »Dann mal los«, sagte sie.
    »Es könnte sein, dass ich nach der ersten Meile verschnaufen muss. Ich weiß ja, dass du lieber keine Pausen machst.«
    Sie sah ihn an. Er hatte vor fünf Monaten seine Frau verloren. »Wenn du verschnaufen musst, rasten wir.«
    Der Fluss floss links von ihnen. An einer Stelle verbreiterte er sich, und man konnte die kleine Insel sehen, auf der ein paar Büsche schon in einem ganz hellen Grün schimmerten.
    »Meine Vorfahren sind diesen Fluss in ihren Kanus raufgepaddelt«, sagte Olive.
    Jack antwortete nicht.
    »Ich dachte immer, einmal habe ich Enkelkinder, die auch hier auf dem Fluss paddeln. Aber mein Enkel wächst in New York auf. Der Lauf der Welt, ich weiß. Aber weh tut es trotzdem. Die eigenen Gene verstreut zu sehen wie Pusteblumensamen.« Olive musste ihr Tempo zügeln, um sich Jacks behäbigem Schritt anzupassen. Es fiel ihr schwer, so wie es schwerfiel, sein Wasser nicht hastig hinunterzutrinken, wenn man durstig war.
    »Wenigstens werden deine Gene überhaupt verstreut«, sagte er, die Hände immer noch in den Taschen. »Ich werde gar keine Enkel haben. Nicht richtig jedenfalls.«
    »Was heißt das? Wie kann man unrichtige Enkel haben?«
    Es verging einige Zeit, ehe er antwortete, wie sie es bereits erwartet hatte. Sie spähte zu ihm hinüber und fand, dass er nicht besonders vorteilhaft aussah; es war etwas Ungutes in seinem Ausdruck, der Art, wie er den Kopf über den Hängeschultern vorreckte. »Meine Tochter hat sich für eine alternative Lebensform entschieden. In Kalifornien.«

    »Ja, dafür scheint Kalifornien nach wie vor sehr beliebt zu sein. Für alternative Lebensformen.«
    »Sie lebt mit einer Frau zusammen«, sagte Jack. »Sie lebt mit einer Frau zusammen, so wie andere Frauen mit Männern zusammenleben.«
    »Ah so«, sagte Olive. Vor ihnen, im Schatten, wartete die Granitbank. »Sollen wir Pause machen?«
    Jack setzte sich hin. Sie setzte sich hin. Ein älteres Paar ging händchenhaltend vorüber und nickte ihnen zu, als wären sie auch ein Paar. Als die zwei außer Hörweite waren, sagte Olive: »Das ist dir offenbar nicht so ganz recht - das mit deiner Tochter.«
    »Es ist mir überhaupt nicht recht«, sagte Jack. Er schob das Kinn vor. »Vielleicht bin ich da oberflächlich.«
    »Ach, du bist ein Intellektueller«, erwiderte Olive, und sie fügte hinzu: »Wobei das in meinen Augen manchmal aufs Gleiche hinausläuft.«
    Er sah sie an, seine Altmännerbrauen schossen in die Höhe.
    »Ich selber bin ja kein bisschen intellektuell. Ich bin eher der bäurische Typ. Und ich bin so stur und voller Vorurteile wie ein Bauer.«
    »Und was soll das genau heißen?«, fragte Jack.
    Olive langte in die Tasche, bekam ihre Sonnenbrille zu fassen, setzte sie auf.
    Nach einer Weile sagte Jack: »Jetzt mal ehrlich. Wenn dein Sohn dir eröffnen würde, dass er mit Männern ins Bett gehen möchte, mit Männern ins Bett geht, dass er in einen Mann verliebt ist, mit ihm zusammenlebt, mit ihm schläft, sich mit ihm eine Wohnung einrichtet - meinst du allen Ernstes, das würde dich nicht stören?«
    »Ja«, entgegnete Olive. »Ich würde ihn deswegen nur noch mehr lieben.«
    »Das ist jetzt die sentimentale Sicht«, sagte Jack. »Du
weißt nicht, wie du reagieren würdest, weil du mit so etwas nie

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