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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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verteidigt, dabei wollte ich dir doch nur helfen. Ich dachte nicht, dass du so was hören willst. Diesen schwachsinnigen katholischen Hokuspokus.«
    Er legte den Kopf schräg, als hätte er Wasser im Ohr, das er herausschütteln wollte. Nach einer Weile öffnete er den Mund und schloss ihn wieder. Er wandte sich zurück zum Wasser, und eine lange Zeit sagte keiner von ihnen etwas. In den Anfängen ihrer Ehe hatte es durchaus Kräche zwischen ihnen gegeben, bei denen Olive sich ähnlich elend gefühlt hatte wie jetzt. Aber nach einer gewissen Zeit des Verheiratetseins hörte man auf, eine gewisse Art von Ehekrächen zu haben, dachte Olive, denn wenn mehr Jahre hinter einem lagen als vor einem, veränderten gewisse Dinge sich. Sie spürte die Sonne warm auf ihren Armen, auch wenn in der Luft hier, am Abhang über dem Meer, ein Hauch von Schärfe lag.
    Die Bucht funkelte und glitzerte in der Nachmittagssonne. Ein kleiner Außenborder bretterte mit steil aufragendem Bug hinüber in Richtung Diamond Cove, und weiter draußen fuhr ein Segelboot mit einem roten Segel und einem weißen. Man konnte die Wellen gegen die Felsen klatschen hören; die Flut näherte sich ihrem Höchststand. Ein Kardinal rief von der Rotkiefer, und die Lorbeerbüsche, vollgesogen mit Sonne, gaben ihren Blätterduft ab.
    Langsam drehte Henry sich um und ließ sich auf der Holzbank nieder, den Kopf in die Hände gestützt. »Weißt du, Ollie«, sagte er und sah mit müden, rotgeränderten Augen hoch. »In all den Jahren, die wir jetzt verheiratet sind, diesen ganzen vielen Jahren, hast du dich kein einziges Mal entschuldigt, glaube ich. Egal für was.«

    Sie wurde blutrot. Unter dem Sonnenschein, der auf sie fiel, fühlte sie ihr Gesicht brennen. »Gut, Entschuldigung, Entschuldigung, Entschuldigung«, sagte sie, nahm die Sonnenbrille aus den Haaren und setzte sie wieder auf. »Worauf willst du jetzt hinaus?«, fragte sie. »Was zum Teufel ist das Problem? Worum zum Teufel geht es hier? Entschuldigungen willst du? Na gut, dann entschuldige ich mich eben. Tut mir echt leid, dass ich eine so miserable Ehefrau bin.«
    Er schüttelte den Kopf und beugte sich vor, legte ihr die Hand aufs Knie. Man ging auf einem bestimmten Weg durchs Leben, dachte Olive. So wie sie jahrelang auf dem gleichen Weg von Cook’s Corner heimgefahren war, an der Taylor-Wiese vorbei, schon bevor dort Christophers Haus gestanden hatte; dann stand es dort, und Christopher wohnte darin, und dann wohnte er nicht mehr da. Also fuhr man einen Umweg, und daran musste man sich gewöhnen. Aber der Verstand, oder das Herz, sie wusste nicht, was, aber es war schwerfälliger geworden, es kam nicht mit, und sie fühlte sich wie eine dicke fette Feldmaus, vor der sich eine Kugel schnell und immer schneller drehte, und ihre hektisch strampelnden Beinchen rutschten immer wieder ab.
    »Olive, wir hatten Angst damals.« Er drückte ihr Knie ein wenig. »Wir hatten beide Angst. In einer Situation, mit der die meisten Leute ihr ganzes Leben nicht konfrontiert sind. Wir haben ein paar unschöne Sachen gesagt, und mit der Zeit werden wir darüber hinwegkommen.« Aber er stand auf und wandte sich ab und schaute hinaus aufs Wasser, und Olive war sich sicher, dass er sich nur deshalb umdrehte, weil ihm selbst klar war, dass er log.
    Sie würden niemals über diese Nacht hinwegkommen. Aber nicht etwa, weil sie als Geiseln in einer Toilette eingesperrt gewesen waren, worin nach Andrea Bibbers Meinung das Trauma bestand. Nein, sie würden nie über diese Nacht hinwegkommen,
weil sie Dinge gesagt hatten, die ihre Haltung zueinander verändert hatten. Und weil Olive seit diesem Tag immer wieder aus einem verborgenen inneren Quell heraus weinte und mit ihren Gedanken nicht ablassen konnte von dem rothaarigen Jungen mit dem verängstigten, versehrten Gesicht; wie ein verliebtes Schulmädchen sah sie ihn immerzu vor sich, malte sich aus, wie er die Nachmittage durch emsig im Gefängnisgarten arbeitete, und konnte es nicht erwarten, ihm die Gärtnerschürze zu nähen, die vom Gefängnisseelsorger bereits abgesegnet worden war, aus dem Stoff, den sie heute bei So-Fro gekauft hatte, sie war machtlos dagegen, so machtlos, wie es Karen Newton bei ihrem Midcoast-Power-Freund gewesen sein musste, die arme, schmachtende Karen, die ein Kind in die Welt gesetzt hatte, das sagte: Nur weil du meine Oma bist, muss ich dich ja schließlich nicht mögen.

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