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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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ihren Mantel bis obenhin zugeknöpft - den guten schwarzen Mantel, dessentwegen sie letztes Jahr zusammen diese ganzen Geschäfte abgeklappert hatten. Ein hartes Stück Arbeit; sie wurden durstig davon und mussten auf einen Eisbecher in dem Café in der Water Street einkehren, wo die muffige junge Bedienung ihnen jedes Mal ungefragt ihren Seniorenrabatt gab; sie hatten miteinander gewitzelt über dieses junge Ding, das ihnen hier ihre Kaffeetassen hinknallte, als ahnte sie nicht, dass auch für sie einmal der Tag kommen würde, da ihre Arme mit Altersflecken übersät waren und ein Kaffee gut überlegt sein wollte, weil die Blutdruckmittel einen so hibbelig machten - dass das Leben Fahrt aufnahm und dann plötzlich fast vorbei war, in einem Tempo, von dem einem schwindlig werden konnte.
    »Schön ist das«, sagte seine Frau jetzt, während sie in den Abend hinaussah, auf die Häuser draußen mit ihrer vielfältigen Weihnachtsbeleuchtung, und Bob Houlton am Steuer musste lächeln: wie zufrieden sie dasaß, die Hände im Schoß gefaltet. »So viele Leben«, sagte sie. »So viele Geschichten, die wir nie erfahren werden.« Und er lächelte noch einmal und berührte kurz ihre Hand in dem Fäustling, denn er hatte gewusst, dass sie so etwas denken würde.
    Ihr kleiner Goldohrring fing das Licht einer Straßenlaterne
ein, als sie den Kopf drehte. »Weißt du noch, in unseren Flitterwochen«, sagte sie, »als du immer wolltest, dass ich mich für deine alten Mayaruinen interessiere, und ich immer nur überlegt habe, welche Leute im Bus daheim wohl Quasten an ihren Duschvorhängen hatten und welche nicht? Und wie wir dann gestritten haben, weil du es insgeheim mit der Angst bekamst, du könntest ein Dummchen geheiratet haben? Nett, aber dumm.«
    Er sagte, nein, er erinnere sich an nichts dergleichen, und sie seufzte tief, um ihn wissen zu lassen, dass sie ihm nicht glaubte, und zeigte dann auf ein Haus an der Ecke, das ganz in Blau dekoriert war, Ketten blauer Lichter über die gesamte Länge der Fassade, und drehte sich danach um, als sie daran vorbeifuhren.
    Er sagte: »Mich darfst du nicht ernst nehmen, das weißt du doch, Janie.«
    »Kein bisschen«, stimmte sie zu. »Hast du die Karten?«
    Er nickte.
    »Schon komisch, Eintrittskarten für eine Kirche.«
    Wobei es durchaus sinnvoll erschien, das Konzert nach St. Catherine’s zu verlegen, nachdem dieser letzte Sturm das Dach der Macklin Music Hall eingedrückt hatte. Niemand war verletzt worden, aber es hatte Bob Houlton einen Schauder über den Rücken gejagt; er sah sie beide in den roten Plüschsesseln sitzen, sich und Jane, und dann stürzte das Dach ein, und sie erstickten, ihr gemeinsames Leben endete auf so fürchterliche Art. Er neigte zu solchen Gedanken in letzter Zeit. Er hatte sogar ein ungutes Gefühl gehabt, als sie vorhin aufgebrochen waren, aber so etwas würde er nie laut sagen; sie freute sich so an den Lichtern.
    Ja, sie war glücklich in diesem Moment, das stimmte. Jane Houlton setzte sich ein bisschen anders hin in ihrem guten schwarzen Mantel, und dabei dachte sie, dass das
Leben trotz allem ein Geschenk war - einer der Vorteile am Älterwerden war, dass man viele Augenblicke nicht einfach als Augenblicke begriff, sondern als ein Geschenk. Und es war auch schön, dass die Menschen diese Jahreszeit mit solcher Ernsthaftigkeit feierten. Wie viel Leid sie auch erlebt haben mochten (und einige der Häuser hier bargen schlimme Schicksale in sich, vermutete Jane), etwas trieb die Menschen zum Feiern, weil sie trotz allem, jeder auf seine Art, spürten, dass das Leben etwas war, das gefeiert sein wollte.
    Er setzte den Blinker, bog auf die Schnellstraße ab. »Hübsch war das«, sagte sie und lehnte sich zurück. Sie hatten es gut miteinander dieser Tage, richtig gut. Es war, als wäre die Ehe ein langes, schweres Menü gewesen, und nun kam dieses kleine, feine Dessert.
    Im Stadtzentrum rollten die Autos langsam die Main Street entlang, unter Straßenlaternen, die mit großen Kränzen geschmückt waren, vorbei an hell erleuchteten Schaufenstern und Restaurants. Gleich nach dem Kino entdeckte Bob eine Parklücke am Straßenrand und bremste; es dauerte eine Weile, er musste mehrmals ansetzen, bis er sich zwischen die beiden Autos manövriert hatte. Jemand hinter ihnen hupte ärgerlich.
    »Pfui, schäm dich was.« Jane schnitt eine Grimasse in die Dunkelheit.
    Er stellte die Räder gerade, schaltete den Motor aus. »Bleib sitzen, Janie, ich komm rum.«
    Sie

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