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Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge

Titel: Mit Blick aufs Meer - Mit Blick aufs Meer - Olive Kitteridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Strout
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leer, als fände sie keinen Ausdruck, den sie aufsetzen konnte. »Julie«, sagte Winnie. »Komm, das ist doch toll.« Sie stand auf und holte eine Schüssel und einen Löffel und die Messbecher.
    Anita verließ die Küche, und sie hörten die Haustür aufund wieder zugehen. Heute hätte Anita in der Krankenhauscafeteria an der Kasse sitzen sollen. Sie hatte sich krank gemeldet. Durch das Fenster sah Winnie ihre Mutter an den Lorbeerbüschen vorbei zu ihrem Goldfischteich hinuntergehen. Im ersten Jahr, als der Teich frisch angelegt war, hatte sie die Goldfische über den Winter im Eis einfrieren lassen, weil sie gehört hatte, das mache man so; im Frühling würden sie wieder auftauen. Winnie hatte von Zeit zu Zeit den Schnee weggekratzt, um die verschwommenen orangeroten Flecken unter dem Eis zu betrachten.
    »Tja, das hab ich jetzt wohl verbockt«, sagte Julie. Sie stützte das Kinn in die Hand.
    Winnie wusste nicht recht, ob sie mit dem Teig anfangen sollte oder nicht. Sie nahm gerade die Butter aus dem Kühlschrank, als das Telefon klingelte. »Geh ran«, sagte Julie und setzte sich auf. »Schnell.« Sie saß ganz hinten im Eck und fing an, die anderen Stühle aus dem Weg zu stoßen. Das Telefon klingelte zum zweiten Mal.

    »Bist du da?«, fragte Winnie. »Ich meine, wenn es Bruce wäre.«
    »Winnie, geh einfach ran «, sagte Julie. »Bevor Mom es hört. Beeil dich. Ja, natürlich bin ich da.«
    »Ja, bitte?«, sagte Winnie.
    »Wer?«, formte Julie mit den Lippen. »Weeer?«
    »Hallo«, sagte Jim. »Wie geht’s, wie steht’s?«
    »Hallo, Daddy«, sagte Winnie.
    Julie drehte sich um und ging aus der Küche.
    »Ich wollte mich nur melden«, sagte Jim. »Hören, was ihr so treibt.«
    Kaum hatte Winnie aufgelegt, klingelte das Telefon von neuem. »Hallo?«, sagte sie. Niemand antwortete. »Hallo?«, sagte sie noch einmal. Am anderen Ende hörte sie ein ganz zartes Bimmeln.
    »Winnie«, sagte Bruce. »Ich will mit Julie reden, aber ohne dass eure Mutter in der Nähe ist.«
    »Da bin ich wieder«, sagte Anita, die zur Hintertür hereinkam. »Und, wie sieht’s aus mit dem Plätzchenteig? Wollt ihr Mädels jetzt welchen machen oder nicht?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Winnie, den Hörer noch in der Hand.
    »Wer ist dran?«, fragte ihre Mutter.
    »Ist gut, tschüs«, sagte Winnie in den Hörer und legte auf.
    »Wer war das?«, wollte ihre Mutter wissen. »War das Bruce? Sag, Winnifred, war das Bruce?«
    Winnie drehte sich um. »Es war Daddy«, sagte sie, ohne ihre Mutter anzusehen. »Er kommt bald heim.«
    »Ah«, sagte ihre Mutter. »Na gut.«
    Winnie legte ein Stück Butter in die Schüssel und versuchte es mit dem Löffel zu zerdrücken. Moodys Laden, dachte sie. Das Bimmeln, das sie durchs Telefon gehört hatte, gehörte zu der kleinen Glocke an der Fliegentür von Moodys Laden.

    Anita sagte: »Einer von den Fischen hat schon wieder diesen Pilz.«
     
    Julie saß unten am Ufer auf einem Stein, kaum breiter als ihr Hinterteil, und starrte über das Wasser. Sie wandte ganz leicht den Kopf, als Winnies Schritte über den Seetang quatschten, dann sah sie wieder aufs Wasser hinaus. Winnie drehte Steine um und suchte nach weißen Strandschnecken. Als kleines Mädchen hatte sie sie gesammelt; der muskulöse Leib haftete so schön fest am Stein, aber sobald man mit dem Finger dagegenstupste, zog er sich zusammen. Aber heute ließ Winnie sie in Ruhe. Am Sammeln lag ihr nichts mehr, sie schaute aus reiner Gewohnheit nach. Ein Hummerboot fuhr vorbei, und Winnie winkte. Wenn jemand in einem Boot vorbeifuhr, gehörte es sich, dass man winkte.
    »Bruce hat angerufen«, sagte sie. Julie drehte sich um. »Und ich glaub, nicht aus Boston. Ich glaube, er war oben in Moodys Laden.« Von der Straße her tönte ein lauter Knall.
    »Er hat angerufen?«, sagte Julie. Wieder knallte es.
    »Was ist das?«, fragte Winnie. »Ein Feuerwerk?«
    »Großer Gott.« Julie kraxelte schon die Uferfelsen hinauf. »Winnie, das waren Schüsse.«
     
    Anita stand in der Einfahrt, das Gewehr in beiden Händen, aber sie hielt es ungelenk, ohne damit auf etwas zu zielen. »Na, ihr zwei«, sagte sie. Ihre Augen glänzten, und auf den blassen Hautsäcken gleich darunter blinkten Schweißtröpfchen.
    »Was machst du da?«, sagte Julie. Anita sah hinunter auf das Gewehr in ihrer Hand, auf sein hinteres Ende. »Mom«, sagte Julie.
    »Nichts passiert«, sagte Anita. Sie starrte immer noch auf die Waffe, untersuchte den Abzug. »Er kam angefahren und
ist wieder

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