Mit Blindheit Geschlagen
Ministeriums für Staatssicherheit. Glaubst du, die lassen sich einschüchtern von ein paar Krakeelern?«
»Ich hab da drüben gelebt. Du wirst dich noch umgucken.«
»Du wirst dich umgucken, du wirst dich umgucken«, äffte sie ihn nach. »Ich gucke mich immer um, vielleicht steht ja einer hinter mir.«
Griesbach trank einen Schluck Tee. Es hatte keinen Sinn, darüber zu diskutieren.
Am folgenden Abend fuhr er nach Ostberlin. Er war so wütend und so ängstlich, dass er die Regeln der Konspiration missachtete und den direkten Weg nahm. Er stieg in der Friedrichstraße in ein Taxi und ließ sich nach Köpenick in die Salvador-Allende-Straße bringen. Die letzte Strecke zur konspirativen Wohnung lief er zu Fuß. Sie lag in einer kleinen Siedlung an der Müggelspree. Heinz öffnete ihm die Tür. Sie setzten sich ins Wohnzimmer, an den Wänden ein Thälmann-Porträt, rote Wimpel mit kyrillischer Inschrift, im Buchregal Marx und Lenin und die Protokolle der Parteitage. Heinz bot Bier und Schnaps an, Griesbach nahm beides. Heinz deutete auf den Wandschmuck. »Hier wohnt eine alte Genossin. In der Zeit des Faschismus war sie in der Sowjetunion.«
»Dann gehört sie zu den wenigen Glücklichen, die das überlebt haben«, sagte Griesbach.
Heinz schaute ihn ernst an. »Margarete sagte schon, du seiest schlecht gelaunt, Bauchschmerzen, auch wegen Gorbatschow.«
»Die Schmerzen sitzen im Hirn, nicht im Bauch.«
»Prost«, sagte Heinz. »Die Genossen in der SU müssen viel verändern, wir nicht.« »Du meinst, in der DDR ist alles in Ordnung?«
»Nein, keineswegs. Aber wir lösen die Widersprüche, während wir voranschreiten.«
»Quatsch nicht so gestelzt.«
Heinz lachte. »Es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Die Freunde übertreiben ein bisschen. Auch bei uns wird es Änderungen geben. Aber wir machen hier keine Revolution. Hast du Hunger?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern verschwand, um mit belegten Broten zurückzukommen. Er stellte die Platte auf den Tisch. »Wir leben in einer Übergangsgesellschaft«, sagte er. »Wir haben uns von der Diktatur des Kapitals befreit, und die Nazis haben wir auch davongejagt. Wenn man kein gutes Haar an uns lässt, das bleibt immer unser Verdienst. Bei uns gibt es keine Globkes, Lübkes, Oberländers und Kiesingers. Wir glauben aber, wir müssten den Leuten sagen, diese Übergangsgesellschaft sei schon wunderbar. Wir sind zu feige. Warum stellen wir uns nicht hin und sagen, bei uns läuft viel schief? Wir sind auch nur Menschen, und leider können wir uns nirgendwo abgucken, wie der Sozialismus funktioniert. Die nach uns kommen, haben es leichter. Die können über uns lachen. Und trotzdem ist es hier besser als im Westen. Meinen Vater haben sie in Mauthausen umgebracht, das vergesse ich nie.«
Nie hatte Heinz über sich gesprochen, nie war er so aufrichtig gewesen. Es berührte Griesbach. »Auf deinen Vater!«, sagte er und hob das Glas mit dem Korn.
Sie tranken, dann lehnte Heinz sich zurück. Er überlegte, dann sagte er: »Wir haben da noch was für dich, etwas Interessantes. Du wirst Schleuser. Du wirst in einer Bande mitarbeiten, die ihr Geld mit Menschenhandel verdient.«
»Warum?«
»Weil diese Bande sehr aktiv ist. Weil wir die Kontrolle über sie verloren haben. Aber vor allem, weil es deine Legende vervollkommnet.«
Griesbach überlegte. Ja, warum eigentlich nicht. Es war ein Abenteuer, den Fluchthelfer zu spielen. »Und das Risiko?«
»Ist gering, aber größer als null.«
»Aber wenn keine Flucht klappt, wird doch jeder merken, dass da einer falsch spielt.«
»Wer sagt denn, dass keine Flucht klappt? Wir möchten uns nur gerne aussuchen, wen wir reisen lassen. Und wenn wir die eine Bande auffliegen lassen, gibt es bald andere, und wir müssten wieder versuchen, dort einzudringen.«
»Ihr habt die Kontrolle verloren?«
»Ja, eine dumme Geschichte. Ich darf dir darüber nichts erzählen. Aber eines muss ich dir sagen. Du wirst dort vermutlich einen alten Bekannten wiedertreffen. Das entspricht nicht ganz den Regeln, ist aber unvermeidlich.«
»Aha.«
»Er heißt Theo Dreilich.«
18
Diesmal nahm jemand ab.
»Guten Tag, Dr. Stachelmann. Ich suche Helga Naujocks.«
»Das bin ich.«
»Sie haben in den achtziger Jahren an der Humboldt-Universität studiert?«
»Nein«, sagte die Frau. »Das ist meine Tochter, sie heißt nicht mehr Naujocks. Was wollen Sie denn von ihr?«
»Ich habe ihr etwas Wichtiges mitzuteilen über einen
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