Mit Blindheit Geschlagen
trafen.«
»Das glauben Sie«, sagte Stachelmann. »Dreilich wusste von ihren Fluchtplänen.«
»Dreilich wusste, dass wir mit dem Gedanken spielten, wenn wir uns über etwas ärgerten. Das taten wir oft. Aber wir waren Linke. Und wir haben uns mit Dreilich auch ziemlich in die Haare gekriegt. Die DDR war in vielerlei Hinsicht schrecklich, aber wir glaubten damals, sie sei besser als die BRD und dass wir sie grundsätzlich unterstützen müssten.«
»Wer wusste noch von Ihren Fluchtplänen?«
»Niemand.«
»Sie haben im Gefängnis gesessen?«
»Nur ein paar Tag U-Haft.«
»Wo?«
»In Hohenschönhausen.«
»In der zentralen Untersuchungshaftanstalt, die heute ein Museum ist?«
»Die Zelle gibt es bestimmt auch noch. Aber ich will sie nicht sehen.«
»Hatten Sie jemals die Idee, Dreilich sei ein Spitzel?«
»Ja. Aber ich konnte es nicht beweisen. Und er hatte Macht. Ich glaube, er hat uns reingelegt, damals schon, als wir ihn in der Mokkabar trafen.«
»Im Palast der Republik?«
»Ja.«
»Könnte es sein, dass die Stasi Griesbach ausgesucht hat aus irgendwelchen Gründen?«
»Weiß nicht.«
»Griesbach war so was wie ein unabhängiger Linker, kritisierte die DDR, aber noch mehr die Bundesrepublik.«
»So haben wir damals gedacht. Wir hatten die Vorstellung, der reale Sozialismus sei im Prinzip dem Kapitalismus überlegen, auch wenn er stalinistisch verformt war.«
»Und Griesbach hat Sie vor vier Wochen, kurz vor seinem Tod, besucht?«
»Das habe ich doch gesagt.«
»Haben Sie ihn gefragt, ob er für die Staatssicherheit gearbeitet hat?«
Sie schwieg.
»Er hat offenbar nur in Untersuchungshaft gesessen, ein paar Wochen oder Monate, und durfte dann ausreisen. Ist das nicht seltsam? Die DDR-Behörden haben doch Wert darauf gelegt, gerade Republikflüchtlinge nicht ohne Bestrafung davonkommen zu lassen. Schon wegen des Nachahmeffekts. Und dann arbeitet er in einer Fluchthilfegruppe, deren Aktionen immer mal wieder scheitern.«
»Davon weiß ich nichts. Aber ich habe ihn gefragt, ob er für das MfS gearbeitet hat.«
»Und was hat er geantwortet?«
»Nichts. Aber er hat mich seltsam angeschaut.«
»Hat er gesagt, warum er Sie treffen wollte?«
»Nicht direkt. Ich hatte den Eindruck, er war fertig mit den Nerven. Ich hatte ihn seit damals nicht mehr gesehen.«
»Und Sie waren nicht erstaunt, als er sich plötzlich meldete?«
»Ja und nein. Wenn er für die Stasi gearbeitet hat, wie ich glaube, lässt es sich leicht erklären, warum er sich nach der Einheit nicht gemeldet hat. Trotzdem war ich enttäuscht, schließlich waren wir lange befreundet gewesen. Ich habe ihn auch gefragt, ob die Stasi ihn mit mir erpresst habe. Aber auch diese Frage hat er nicht beantwortet.«
»Was glauben Sie?«
»Dass die Stasi das getan hat. Sie haben ihn ausgenutzt und erpresst. Ein Linker, der ein schlechtes Gewissen hat, weil er mit dem Gedanken gespielt hatte, in den Westen zu gehen, nachdem er an der Universität Krach gekriegt hat. Und die Stasi hat es ihm ermöglicht auszureisen. Mich behielten sie als Sicherheit in der Hand. Allerdings wollte ich nicht in den Westen, aber das wusste Wolf ja nicht. Als wir darüber gesprochen hatten, war ich mir unschlüssig gewesen. Ihm hat das MfS eine Chance geboten, und ich glaube, er hat sie genutzt. Er hat ja auch nicht nein gesagt, als ich ihn fragte, ob er IM war.«
»Haben Sie ihn auch nach Dreilich gefragt?«
Die Teller mit dem Essen standen unberührt auf dem Tisch. Der Kellner näherte sich, schaute auf den Tisch und ging wieder.
»Ja, natürlich haben wir über Dreilich gesprochen. Wolf sagte, über Dreilich wisse er nichts. Und ich sagte ihm, ich hielte Dreilich für einen IM. Er war der Einzige, der von unserer Flucht wusste. Außer diesem Typen, dessen Adresse er uns gegeben hatte. Aber dieser Knoll, oder wie er immer hieß, war wohl nur ein Pseudonym für Dreilich.«
»Dreilich hat die Fluchthilfeorganisation unterstützt, für die auch Wolf Griesbach arbeitete. Er hat, als er in der Senatsverwaltung saß, Pässe besorgt für Flüchtlinge. Und Wolf Griesbach hat den Kontakt mit ihm gepflegt.«
»Ich habe mir so was gedacht.« Sie sprach kraftlos.
»Dreilich hat uns reingelegt, Wolf verdankte ihm den Knast, ich auch, und dann arbeitet er mit dem zusammen. Das versteht kein Mensch.«
»Da gibt es andere Fälle. Denken Sie an die deutschen Kommunisten, die in der Sowjetunion eingesperrt und misshandelt wurden. Viele hat die sowjetische Regierung sogar
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