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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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eine Nummer. Nach einer Weile hob jemand ab am anderen Ende.
    »Sag mal … nein … ich hab hier einen zu sitzen … später, ich melde mich … sag mal, wie hieß die kleine Blonde, die damals wegen dem Griesbach so eine FDJ-Abreibung bekommen hat? … Republikflucht … Helga, ja. Aber der Nachname … Naujocks, richtig, tschüssi, danke, bis bald … ich melde mich … bestimmt.«
    »Wissen Sie, wo die wohnt?«
    »Woher? Ich weiß nicht mal, ob die noch Naujocks heißt.«
    »Kennen Sie jemanden, der sie kennen könnte?«
    »Nun wird’s aber kompliziert. Was hat die Witwe davon, wenn sie weiß, dass Griesbach eine Freundin hatte?«
    »Man mag das seltsam finden, aber jeder hat seine Art, mit Trauer umzugehen. Frau Griesbach muss sich wohl intensiv mit dem Leben ihres Mannes beschäftigen, bevor sie sich verabschieden kann. Haben Sie jemanden im Auge, der mit Frau Naujocks bekannt oder befreundet sein könnte?«
    Er schüttelte den Kopf. Die Haarsträhne fiel zur Seite.
    »Nein, wirklich nicht. Tut mir Leid.«
    Stachelmann bedankte sich und verließ die Universität. Er ging ein Stück. Ein kalter Wind wirbelte Blätter über die Straße. Vor dem Operncafé entdeckte er Telefonzellen. Er betrat eine und blätterte im Telefonbuch. Es waren Seiten herausgerissen, aber N war vollständig. Es gab viele Naujocks, aber nur zwei Helgas und drei Naujocks, H. Bei der ersten Nummer nahm niemand ab. Bei der zweiten war der genervte Witwer dran. Der eine H. war ein Rentner, der keine Helga kannte. Beim anderen H. war besetzt. Die dritte H. hieß Hermine. Er versuchte die erste Nummer noch einmal, wieder hob niemand ab.
    Er lief zu seinem Auto und füllte die Parkuhr auf. Dann ging er ins Operncafé, es saßen nur wenige Leute an den Tischen. Er fand einen leeren Tisch an der Wand, gegenüber der Tür. Hier war es dunkler, und niemand würde ihn erkennen vom Eingang aus. Außerdem stand er bestimmt nicht oben auf der Fahndungsliste, da gab es andere Kaliber.
    Er bestellte einen Tee und holte sich eine Zeitung, von denen einige in Holzklemmern an Wandhaken hingen. Er versuchte zu lesen. Aber seine Gedanken schweiften ab zu den Fragen, die über sein Leben entschieden. Er versteckte sich mehr hinter der Zeitung, als dass er sie las. In ihm arbeitete es. Wenn er Helga Naujocks fand, käme er weiter. Das wusste er. Vielleicht erfuhr er dann alles.
    ***
    »Heinz sagt, er habe eine neue Aufgabe für dich. Etwas, das du zusätzlich zum Studium erledigen musst. Es sei wichtig und spannend, und es werde deine Legende vervollkommnen. Du musst rüber.«
    Sie saßen beim Tee am Nachmittag, Margarete war gerade aus Ostberlin zurückgekommen. Griesbach biss eine Ecke von einem Butterkeks ab, Margarete zündete sich eine Zigarette an.
    »Um was geht es?«, fragte er.
    »Heinz wird es dir sagen.«
    »Scheiß Geheimnistuerei. Traut ihr mir immer noch nicht?«
    »Doch, hätte ich dich sonst geheiratet? Aber das sind die Regeln.«
    »Scheiß-Regeln.« Er war schlecht gelaunt, schon bevor Margarete wieder aufgetaucht war. Es hatte am Institut Diskussionen gegeben über Gorbatschows Perestroika, und er hatte nicht recht gewusst, wie er sich verhalten sollte. Am schlimmsten war es am frühen Nachmittag gewesen. Die Universität hatte ihn gerade als Tutor eingestellt, es waren die ersten Lehrveranstaltungen, an denen er nicht mehr als Student teilnahm, und schon war er ratlos. Die Genossen in der DDR wussten auch nicht so recht, was sie denken sollten. Die hatten es gut, niemand fragte sie. Aber im Seminar hatten ihn Studenten in die Mangel genommen. Und der Tutor Griesbach war ins Schwimmen gekommen. Um nicht abzusaufen, hatte er Gorbatschow gelobt und erklärt, auch die anderen Ostblockstaaten kämen nicht umhin, dem Beispiel Moskaus zu folgen. Das Seminar handelte vom Aufstand am 17. Juni 1953.
    »Aber wenn die Sowjetpanzer nicht mehr zur Verfügung stehen, wird dann nicht bald die DDR zusammenkrachen?«, hatte einer gefragt. »Es ist doch eine Lehre des 17. Juni, dass die DDR ohne die Sowjetunion nicht überlebensfähig ist.«
    Die Fragen hallten nach in seinem Kopf. Eigentlich waren es keine Fragen, sondern schon die Antworten.
    »Bald wird es die DDR nicht mehr geben, und dann werden sie uns hier zerquetschen wie Wanzen«, sagte Griesbach.
    Margarete schaute ihn entsetzt an. »So ein Quatsch. Mach dir nicht die Hosen voll. Da sind mehr als zwei Millionen Mitglieder der SED, da ist die NVA, da ist die Volkspolizei, und da sind die Genossen des

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