Mit Blindheit Geschlagen
Stachelmann unter die Dusche. Er ließ sie lange laufen, warm und kalt abwechselnd. Danach fühlte er sich wach. Aber dann näherten sich erneut die Zweifel. Was er vorhatte, war verrückt, aussichtslos, lächerlich. Er versuchte die Niedergeschlagenheit abzuschütteln. Nachdem er sich angezogen hatte, fuhr er mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss. Er fand den Frühstücksraum. An einem Tisch saß ein Pärchen, sie unterhielten sich auf Englisch und wurden leise, als sie Stachelmann sahen. Vielleicht amerikanische Touristen. Stachelmann nahm sich Marmelade, Margarine und ein Brötchen. Er saß gerade an einem Tisch an der Wand, als eine stämmige junge Frau herbeieilte. »Tee oder Kaffee?«
Er bestellte Kaffee. An der Wand hingen Zeitungen. Er nahm sich einen Tagesspiegel und blätterte darin. Er las, während er sein Brötchen aß, das Paar unterhielt sich flüsternd. In den politischen Berichten ging es um die übliche Spiegelfechterei. Als die Bedienung vorbeikam, bat er sie um ein Telefonbuch. Sie brachte es gleich. Er suchte unter Dreilich, fand aber viele Einträge. Dann blätterte er zurück zu Behörden. Es gab eine zentrale Nummer der Senatsverwaltung. Stachelmann notierte sich die Nummer. Dann suchte er die Nummer der ehemaligen Gauck-Behörde und fand sie schließlich unter dem Eintrag
Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik.
Er schrieb sich auch diese Nummer auf. Dann stand er auf und hängte die Zeitung zurück an den Wandhaken. Er ging hoch in sein Zimmer und wartete, bis es acht Uhr war. Er war ungeduldig. Er wählte die Nummer der Birthler-Behörde. Eine Frau nahm ab.
»Ja, hier Professor König aus München. Ich suche einen Mitarbeiter von Ihnen mit dem Namen Hansen, Dr. Wilhelm Hansen.« Stachelmann nuschelte.
»Wen meinen Sie?«
»Dr. Hansen.« Stachelmann nuschelte wieder.
»Also einen Herr Dr. Hensen haben wir hier nicht.« Sie zögerte, dann sagte sie: »Vielleicht meinen Sie Dr. Heimes.«
»Ist der nicht auf Urlaub?«
»Nein, bestimmt nicht.«
»Aber mein Kollege soll jetzt auf Urlaub sein, und ich habe seine Urlaubsanschrift verloren und brauchte sie dringend. Es ist wirklich ein Notfall. Vielleicht verwechsle ich auch Namen, in meinem Alter passiert das ja mal. Wer ist denn auf Urlaub bei Ihnen mit diesem Namen?«
»Welchem Namen?«
»Na, Hansen, Dr. Wilhelm Hansen.« Stachelmann nuschelte.
»Ich kann Sie schlecht verstehen. Aber ich glaube, ich weiß, wen Sie meinen, den Dr. Kotzan, der ist verreist, das stimmt. Aber ob ich Ihnen die Anschrift sagen darf, also, da muss ich mich noch mal erkundigen …«
»Dr. Wilhelm Kotzan?«
»Nein, der heißt Dr. Eberhard Kotzan.«
»Also dann ist das nicht mein Bekannter. Auf Wiederhören.« Stachelmann legte auf und notierte den Namen.
Dann wählte er die Nummer der Senatsverwaltung. Als ein Mann abhob, sagte Stachelmann: »Hier Sven Malkowski vom RBB Fernsehen. Könnten Sie mich bitte mit dem Vorzimmer des Regierenden Bürgermeisters verbinden?«
Musik ertönte, Pour Elise, elektronisch verstümmelt.
»Schneider«, sagte eine Frau.
»Guten Tag, Frau Schneider. Malkowski vom RBB Fernsehen. Wir arbeiten an einer zweiteiligen Dokumentation für die ARD über Berlin zur Wendezeit. Wir suchen Zeitzeugen, unter anderem Herrn Theo Dreilich, der war damals persönlicher Referent des Regierenden Bürgermeisters Diepgen, also vor und nach der Amtszeit von Herrn Momper. Können Sie uns da helfen?«
»Also, das war vor meiner Zeit. Ich habe wohl gehört, dass Herr Dreilich hier gearbeitet hat. Aber vielleicht kann Ihnen die Personalverwaltung weiterhelfen. Darf ich Sie mit unserem Herrn Löwe verbinden?«
»Danke«, sagte Stachelmann.
Pour Elise. Wenn Beethoven gewusst hätte, was Telefongesellschaften mit seinem Stück veranstalten würden, er hätte die Noten verbrannt, dachte Stachelmann. Endlich meldete sich Herr Löwe.
»Frau Schneider hat mich informiert. Der Herr Dreilich arbeitet schon lange nicht mehr im Senat. Er hat sich selbstständig gemacht mit einem Sicherheitsunternehmen.«
»Haben Sie eine Ahnung, wie das Unternehmen heißt?«
»Dreilich Securitas.«
Stachelmann bedankte sich und eilte die Treppe hinunter zur Rezeption. Dort bat er um das Telefonbuch und schlug nach. Er fand den Eintrag gleich und schrieb sich die Nummer und die Adresse auf. Zurück im Zimmer, konzentrierte er sich, dann wählte er.
»Dreilich Securitas.«
»Herrn Dreilich
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