Mit Blindheit Geschlagen
habe es übernommen, sie ist beunruhigt.«
»Das kann man verstehen.«
»Wann haben Sie Herrn Griesbach zum letzten Mal gesehen?« »Vor ein paar Monaten, vielleicht ist es auch schon ein Jahr
her.«
»Wann genau? Es ist wichtig.«
Pawelczyk schwieg einen Augenblick. »Da müsste ich mal nachdenken.«
»Sie haben ihn bestimmt nicht am Dienstagabend gesehen? Oder vorgestern?«
Pawelczyk zögerte einen Augenblick. »Nein, reicht es nicht, wenn ich es einmal sage?«
»Entschuldigung«, sagte Stachelmann. »Am späten Nachmittag habe ich ihn noch in Hamburg gesehen. Da hat er seinen Einstand gegeben. Und danach ist er nach Berlin gefahren. Ich bin auf Sie gekommen, weil Sie Wolf Griesbach angerufen haben.«
»Ach so«, sagte Pawelczyk.
»Darf ich fragen, was Sie von ihm wollten?«
»Stimmt, ich habe ihn angerufen.« Er sprach langsam, wie um Zeit zu gewinnen. »Am Telefon möchte ich Ihnen die Sache aber nicht erzählen. Eigentlich eher gar nicht.«
»Darf ich fragen, warum? Immerhin wird Herr Griesbach vermisst.«
»Sucht die Polizei ihn schon?«
»Ja, aber inoffiziell.«
»Aha.«
»Dann treffen wir uns morgen Nachmittag, so gegen sechzehn Uhr, einverstanden?«
»Einverstanden.«
Stachelmann ließ sich die Adresse geben, Wittgensteiner Weg 7 in Spandau. Als er aufgelegt hatte, staunte er über sich selbst. Er hatte seine Mutter besuchen wollen an diesem Wochenende, jetzt fuhr er nach Berlin, um mit einem Mann zu reden, der ihm wohl nur berichten konnte, dass Griesbach ihn besuchen wollte. Warum ließ er sich darauf ein? Warum hatte er nicht darauf bestanden, dass Ines mit Pawelczyk telefonierte? Er vergeudete seine Zeit. Was ging ihn die Geschichte an? War es das schlechte Gewissen, das ihn trieb, Griesbach zu suchen? Er fand keine Antwort. Er war müde und schaltete gleich das Licht aus, Hornblower musste warten. Kurz bevor Stachelmann einschlief, kam ihm der Gedanke, dass er einen Fehler machte.
***
Die Augen brannten. Er saß im Zimmer des Vernehmers, der Läufer bewachte ihn. Der sprach kein Wort, nachdem er befohlen hatte: »Hinsetzen!«
Dann hörte der Gefangene die Tür in seinem Rücken. Ein Mann, dessen Stimme der Gefangene nicht kannte, befahl den Wächter hinaus. Der Vernehmer setzte sich hinter den Schreibtisch, der zweite Mann stellte sich hinter den Gefangenen.
»Sie sind überführt«, sagte der Vernehmer selbstsicher.
»Staatsfeindliche Verbindungsaufnahme mit einer feindlichnegativen Organisation im Westen mit dem Ziel, die Arbeiterund-Bauern-Macht zu untergraben und zu beseitigen. Dazu kommt Republikflucht in einem besonders schweren Fall, bewaffnet, mit technischen Hilfsmitteln und organisiert zusammen mit staatsfeindlichen Menschenhändlern. Ihre Komplizin Helga Naujocks hat alles gestanden.« Er zog eine Mappe aus der Aktentasche. Er schlug die Mappe auf. »Hier ist das Protokoll.« Er deutete auf eine Stelle. »Und das ist die Unterschrift von Helga Naujocks. Ihre Freundin ist klüger als Sie.«
»Das ist doch alles Unsinn«, sagte der Gefangene. »Sie fantasieren. Wenn Helga Naujocks so etwas gestanden hat, dann lügt sie. Aber ich glaube nicht, dass sie das ausgesagt hat.«
»Wollen Sie behaupten, wir lügen?«, brüllte der zweite Mann.
Der Gefangene erschrak. »Ich behaupte nichts. Ich weiß nur, es ist die Unwahrheit.« Der Gefangene klammerte sich mit den Händen an die Sitzfläche des Hockers. Er wusste, was die beiden Männer trieben. Einer spielte den Bösen, damit er Vertrauen fasste zu seinem Vernehmer, der freundlich tat. Er wünschte sich, der Böse würde verschwinden, er bemerkte, er hatte sich an seinen Vernehmer gewöhnt. Er spürte die Gefahr, die aus der Gewöhnung erwuchs. Da lauerte schon die Idee, es seinem Vernehmer nicht zu schwer zu machen.
Der Böse sagte: »Dann gesteht er eben nicht. Gibt ein paar Jahre mehr auf Staatskosten. Hat schon eine Menge schmarotzt. Ist auf den Geschmack gekommen.«
Der Gefangene schwieg.
Der Böse brüllte: »Mann, sind Sie dumm. Sie versauen sich Ihr Leben. Und das Ihrer Komplizen gleich mit. So wie Sie führt sich ein Feind auf. Sind Sie ein Feind, sind es die anderen auch. Ein Geständnis, sauber und ehrlich, stimmt das Gericht milde.« Er wandte sich an den Vernehmer: »Ich kenne diese Typen, die verrennen sich. Nachher die große Reue, aber dann ist es zu spät. Die Wahrheit hat ihre Zeit.«
Er stand auf und ging.
»Tut mir Leid«, sagte der Vernehmer. »Ich konnte es nicht verhindern.«
Der Gefangene
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