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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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er wolle sich darum kümmern. »Aber versprechen kann ich nichts.«
    Dann war Stachelmann allein im Krankenzimmer. Auf dem Gang Schritte, wie weit entfernt. Durchs Fenster sah er den Stacheldraht, der wie eine endlose Spiralenschlange auf der Mauer saß. Hochnebel drückte auf die Häuser jenseits der Mauer. Er schlief ein.
    ***
    Ein Mann in einer Badehose an der Ostsee, wem sollte er auffallen im Sommer? Er schaute hinaus aufs Wasser. Weit hinten ahnte er Fehmarn. Links sah er Timmendorfer Strand und Scharbeutz. Er hätte hinlaufen können, wären da nicht der Stacheldraht, die Minen und die Hunde. Zwei Grenzsoldaten liefen über den Strand, die Kalaschnikow geschultert. Sie beachteten ihn nicht. Er ging ins Wasser, die Kälte biss in die Haut. Schnell schwamm er hinaus, ihm wurde wärmer. Bald waren die Badegäste am Strand nur noch Puppen.
    »Träumen Sie nicht«, sagte der Vernehmer. Es klang nicht unfreundlich. »Sie haben an der Ostsee erkundet, wie Sie die Republikflucht organisieren können. Sie haben die Grenzanlagen ausgekundschaftet. Erzählen Sie mir doch nicht, dass Sie da Badegast waren.«
    Als er aus dem Wasser stieg, standen plötzlich die beiden Grenzsoldaten vor ihm. »Ausweiskontrolle«, sagte der eine.
    Er ging mit ihnen zu der Stelle, wo seine Kleidung lag, und gab ihnen seinen Ausweis. Der eine Grenzsoldat schrieb etwas auf. Dann gab er den Ausweis zurück.
    »Warum sind Sie hier?«
    »Um zu baden.«
    Die Grenzsoldaten gingen weiter. Er sah noch, wie sich der eine zum anderen beugte und etwas sagte.
    »Wir haben Ihren Brief an diesen Knoll, der in Wahrheit an Dreilich ist. Sie benutzen eine Deckadresse, arbeiten konspirativ gegen unseren Staat.«
    »Und was steht in dem Brief?«, fragte der Gefangene zurück.
    »Ich stelle hier die Fragen.« Der Vernehmer sagte es sachlich.
    Der Gefangene wusste, es ging nicht um den Brief, sondern darum, dass er ihn abgeschickt hatte. Das war das Signal.
    »Warum wollten Sie unsere Republik verlassen?«
    Wie oft hatte er diese Frage hören müssen? Er versuchte sich klar zu werden, warum er den Brief losgeschickt hatte. Weil er fürchtete, seinen Studienplatz zu verlieren? Mehr nebenbei hatte er die Klugheit der Partei angezweifelt, weil sie Biermann rausgeschmissen hatte und so einen Exodus von Schriftstellern anzettelte. Ein Halbsatz nur, abends in einer Kneipe. Einer hatte es kolportiert, und dann waren sie hergefallen über ihn, die FDJ-Leitung zuerst, dann die ganze Gruppe. Als hätten sie darauf gewartet, einen zu finden, an dem sie ihre Wachsamkeit zeigen konnten. Ihren Jagdtrieb befriedigen. Ihre Zweifel besiegen, indem sie ihn fertig machten. Deshalb klagten sie ihn an, einer nach dem anderen. Sie redeten laut, weniger gegen ihn als gegen das, was in ihnen keimte. Helga drückte ihm unter dem Tisch kurz die Hand, aber sie sagte nichts. Widerspruch hätte die anderen nur gereizt. Alle verurteilten ihn, auch die, die in der Kneipe genickt hatten. Dann war es erst einmal zu Ende.
    Die Direktion werde entscheiden, ob er an der Universität bleiben könne. Der Staat ermögliche Leuten kein Studium, die ihm in entscheidender Zeit in den Rücken fielen. Er habe geschwiegen, wo Selbstkritik notwendig gewesen wäre. Sie seien keine Unmenschen, jeder mache mal einen Fehler. Aber er müsse den Fehler einsehen. Sie gäben ihm Zeit, nachzudenken und sich dann zu äußern. Davon wollten sie ihre Entscheidung abhängig machen. Das sagten der Direktor und der Sekretär der Partei.
    Am Abend schrieb er den Brief an Knoll. Als er ihn abgeschickt hatte, bereute er, geschrieben zu haben.

10
    Der Arzt hatte ihn länger im Krankenzimmer liegen gelassen, als es nötig gewesen wäre. Stachelmann war ihm dankbar, offenbar ahnte der Arzt, wie es Stachelmann plagte, mit einem Menschen wie Olaf in einer Zelle zu sitzen. Am Montagvormittag aber musste er zurück. Olaf saß auf seinem Bett und blätterte in der Neuen Revue. Im Fernseher lief eine Prolotalkshow. Eine Moderatorin erregte sich, das Publikum pfiff und trampelte, eine Frau, der der Suff ins Gesicht geschrieben war, lallte. Neben ihr kreischte ein Mädchen. Bald würde der Wagen mit dem Mittagessen durch den Gang gerollt.
    Vorher erschien Schwarzenegger. »Sie haben Besuch«, sagte er. Er führte Stachelmann in das Zimmer mit den drei Stühlen. Anne stand an der Wand.
    Der Justizbeamte setzte sich auf einen Stuhl, jetzt fiel Stachelmann auf, dass er einen Aktenordner in der Hand hatte. Er blätterte darin. Stachelmann

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