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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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schön, aber menschlich. Dadurch werde man nicht zum Mörder. Sein Mandant habe in diesem Punkt nicht die Wahrheit gesagt. Aber wie viele Frauen und Männer in Deutschland würden dies tun in einer vergleichbaren Situation?
    Stachelmann spielte es mehrfach durch, und jedes Mal endete das Verfahren mit lebenslänglich. Er wusste, die Umstände sprachen gegen ihn. Und sie hatten sonst keine Spur. Er hatte Oppum verstanden, rätselte, was der Anwalt dachte. Stachelmann überlegte, ob er die Zweifel in Oppums Stimme hineingehört hatte. Schluss damit, raus hier. Er schloss das Fenster und verließ den Raum. Im Gang entschied er sich, in die Cafeteria im Erdgeschoss zu gehen. Da würde er auf andere Gedanken kommen. Er fuhr im Aufzug hinunter, die Schmierereien an den Wänden sah er nicht mehr. In der Cafeteria nahm er sich einen Salat und ein Wasser, dann stellte er sich in die Schlange vor der Kasse. Nachdem er bezahlt hatte, fand er einen Platz am Fenster, am Nebentisch saßen Studenten. Stachelmann hörte, wie sie über Bohming lästerten. »Stinklangweilig«, sagte einer. »Der hält jedes Semester die gleiche Vorlesung, bestimmt seit fünfzehn Jahren.«
    Stachelmann fiel das auch auf, wenn die Veranstaltungstermine besprochen wurden. Aber er hatte sich an Bohmings Faulheit gewöhnt.
    »Und liest das einfach runter. Der guckt nicht einmal hoch«, sagte ein Studentin mit schriller Stimme.
    »Wird Zeit, dass der abtritt«, sagte ein Dritter.
    Eigentlich hat er Recht, dachte Stachelmann. Bohming lähmte den Lehrstuhl, forschte nicht mehr, motivierte seine Leute nicht, verwaltete nur noch das Ansehen, das er sich erworben hatte, wodurch auch immer. Vielleicht genügte es schon, viele Jahre Professor zu sein, ein paar Reden, die andere schrieben, zum richtigen Zeitpunkt zu halten auf Historikerkongressen. Worin bestand Bohming Beitrag zur Geschichtsschreibung? Stachelmann überlegte, fand aber nichts. Und worin besteht dein Beitrag? Da musste er nicht überlegen, um nichts zu finden.
    Die Studenten am Nebentisch sprachen leiser.
    Stachelmann stopfte sich Salatblätter in den Mund und bekleckerte sein Hemd. An den Mundwinkeln klebte Soße. Er hatte vergessen, eine Serviette zu nehmen. Er stand auf und ging zur Kasse, um eine zu holen. Die Studenten am Nebentisch folgten ihm mit Blicken, er sah es im Augenwinkel. An der Kasse schaute ihn eine Studentin an, dann grinste sie. Er nahm sich zwei Papierservietten und wischte sich den Mund ab. Er betupfte den Fleck auf dem Hemd.
    Als er wieder saß, flüsterten die Studenten am Nebentisch. Er glaubte, seinen Namen zu hören. Dann »Griesbach« und »Mord«. Natürlich, die hatten das Abendblatt gelesen, es fiel ihnen leicht herauszufinden, welcher Dozent unter Mordverdacht stand und mit der Frau des Opfers geschlafen hatte. Er spürte die verstohlenen Blicke. So schaute man auf jemanden, der bald als Mörder im Gefängnis sitzen würde. Er aß nicht auf und ließ Teller und Besteck stehen, als er sich erhob. Stachelmann zwang sich, nicht zu rennen. Er fuhr mit drei Studenten nach oben und fühlte sich beobachtet. Stachelmann wusste sonst schon nicht, wohin er schauen sollte im Fahrstuhl, diesmal fürchtete er, rot anzulaufen.
    Zurück in seinem Zimmer versuchte er, wieder zu arbeiten. Aber der Artikel ließ ihn nicht los, einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, in der Abendblatt-Redaktion anzurufen und nach der Quelle des Artikels zu fragen. Aber sie würden ihm nicht verraten, woher die Auskunft stammte, und er würde sie vielleicht darauf stoßen nachzubohren.
    Das Telefon klingelte. Als er abnahm, hörte er im Hintergrund Babygeschrei. »Damit du mitkriegst, in welchem akustischen Inferno ich Tage und Nächte verbringe.« Sie klang erschöpft, aber zufrieden.
    »Hast du den Artikel im Abendblatt gelesen?«
    »Welchen?«
    »Über den mordenden Geschichtsdozenten in Hamburg?«
    »Wirst du jetzt endlich berühmt? Entschuldigung, ein schlechter Scherz. Nein, Sohnemann will zurzeit nicht dass Mama Zeitung liest.«
    »Schläft der nie?«
    »Der heißt übrigens Felix, und wenn er schläft, penne ich, was das Zeug hält. Aber ich werde mir das Blatt besorgen. Wenn ich dich richtig verstehe, eine üble Sache.«
    »Ich stelle gerade fest, dass es nicht lustig ist, als Mörder durch die Gegend zu laufen. Die lieben Studenten zerreißen sich das Maul, die lieben Kollegen schauen einen schief an. Und die Geschichte mit Frau Griesbach« – er stockte – »Ines, ist auch schon rum.

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