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Mit Blindheit Geschlagen

Mit Blindheit Geschlagen

Titel: Mit Blindheit Geschlagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Ditfurth
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Ich möchte wissen, wie das geht.«
    Sie schwieg, und Stachelmann glaubte zu wissen, dass sie es wegen Ines tat. »Schlechte Nachrichten verbreiten sich affenschnell«, sagte sie. »Aber das wäre doch so oder so rumgegangen, früher oder später. Wichtig ist, dass du es nicht warst.«
    »Ich war es nicht.«
    »Das weiß ich. Aber die Dinge liegen so, dass alle Welt es glaubt.«
    »Die werden mich wieder einsperren.«
    »Mag sein, aber sie werden dich freisprechen.«
    »Da bin ich mir nicht mehr sicher. Sie haben sonst keine Spuren, und was sie haben, lässt mich uralt aussehen.«
    »Hättest dir mal besser das Techtelmechtel erspart.«
    »Komm jetzt nicht mit Moralpredigten. Du musst gerade anfangen damit.«
    Sie lachte. »Wenn du mich besuchen willst, nur zu. Ich biete dir Dauergeschrei, verkackte Windeln, ein sabberndes Baby und eine Mutation mit sieben Händen, die im Stehen einschläft.«
    »Ein schöneres Angebot ward nie gemacht. Ich melde mich, wenn ich mich stark genug fühle.«
    Nach dem Gespräch fühlte er sich besser. Der Zusammenhalt mit Anne war zurück, auch wenn er nicht wusste, wie es weiterging. Diesmal wollte er es nicht vermasseln. Er entschied sich, nicht mehr zu arbeiten, es war sinnlos. Er verließ das Institut und fror auf dem Weg zum Dammtorbahnhof. Es war dunkel, die Laternen brannten, der Regen zog glitzernde Fäden im Licht der Autoscheinwerfer.
    Im Hauptbahnhof verpasste er seinen Zug, es war ihm recht. Er schlenderte durch die Bahnhofshalle, im Obergeschoss der großen Bahnhofsbuchhandlung betrachtete er die Neuerscheinungen. Hier fühlte er sich sicher, niemand kannte ihn. Er fand einen Stapel mit Büchern über Nazigrößen von einem TV-Historiker, dessen Filme manche Kollegen verlachten oder verfluchten wegen ihrer Melodramatik. Vor allem stellten die TV-Serien nur dar, was bebildert sei, die Geschichte als Daumenkino. Und dann würden Szenen nachgestellt, damit der Zuschauer den Eindruck habe, dabei zu sein. Stachelmann hatte diese Filme nicht gesehen und die Bücher des Mannes nicht gelesen.
    Er verließ die Buchhandlung. In einem Schreibwarenladen entdeckte er ein kleines Notizbuch mit Adressenteil und kaufte es. Dann bestellte er an einem Stand ein Brötchen und einen Saft. Als er gegessen und getrunken hatte, lief er gemächlich zum Gleis, der Zug wartete schon. Zwei Männer saßen im Großraumabteil erster Klasse, der eine döste, der andere las Zeitung. Stachelmann kannte beide Gesichter. Er stellte sich vor, wie er sich fühlen würde, wenn das Abendblatt nicht nur den Artikel, sondern auch ein Foto von ihm gedruckt hätte. Er setzte sich an den Tisch und beobachtete durchs Fenster die Menschen auf dem Bahnsteig. In seinem Kopf arbeitete es, der Verdacht gegen ihn ließ ihn nicht los. Er war sich nicht mehr sicher, dass er nichts zu fürchten hatte.
    Da fiel ihm ein Mordprozess ein, der vor einigen Monaten halb Norddeutschland beschäftigt hatte. Die Besitzerin von zwei oder drei Fitnessstudios verschwand, ihr Mann wurde verhaftet unter Mordverdacht. Die Staatsanwaltschaft führte im Prozess eine Menge Indizien an gegen den Angeklagten, aber keinen Beweis. Der Mann hatte nach Aussagen von Zeugen einen schlechten Charakter, die Frau hatte ihm das Konto gesperrt, und die Ehe war zerrüttet. Aber nichts bewies unwiderlegbar, dass er ein Mörder war, es sprach nur alles gegen ihn. Der Mann wurde verurteilt und brachte sich um in der Zelle. Seitdem gab es in der Lübecker Polizei und Justiz einige, die nachts Alpträume hatten, in denen eine Frau vorkam, die an einer Bar unter den Palmen einer Karibikinsel Cocktails schlürfte.
    Bestimmt gab es weitere Fälle, in denen Zweifel blieben. Aber kam es auf einen mehr oder weniger an? Stachelmann fröstelte. Er erinnerte sich an das letzte Gespräch mit Oppum, jetzt war er sicher, der Anwalt wusste oder ahnte etwas und wollte es ihm nicht sagen, weil es schrecklich war.
    Der Zug stand in Bad Oldesloe, hatte mehr als die Hälfte der Strecke zurückgelegt. Stachelmann hatte es nicht gemerkt. Der Bahnsteig lag in einem fahlen Licht, die Tropfen auf der Scheibe verzerrten die Umrisse. Die Leute strömten zum Ausgang, sie hatten es eilig, nach Hause zu kommen. Stachelmann fühlte sich einsam. Der Zug ruckelte und fuhr weiter, draußen wurde es schwarz. Das verschwommene Bild seines Gesichts in der Scheibe erschien ihm fremd. Er schaute sich um im Abteil, die Menschen waren ihm gleichgültig. Er nahm sie kaum wahr. Die Angst verlor sich, er

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