Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
Vom Netzwerk:
poliert die Geschichte auf, für ihre Mutter. Alex musste das auch immer tun - sie musste sich wahnsinnig anstrengen, um von Joanie Aufmerksamkeit zu bekommen. Oder vielleicht auch, um Aufmerksamkeit von Joanie abzuziehen. Ich vermute, Scottie kapiert allmählich auch, was erforderlich ist.
    »Von Dads öden Vorträgen über den Ozean wusste ich, dass das eigentlich keine Stacheln waren, was ich da in der Hand hatte, sondern eher eine Art spitze Knochen - Kalkstäbchen, die man mithilfe von Essig auflösen kann.«
    Ich lächle. Sehr gut.
    »Dad, das ist doch nicht langweilig, oder?«
    »›Langweilig‹ wäre das absolut falsche Wort. ›Langweilig‹ würde ich es zu allerletzt nennen.«
    »Okay. Jetzt bist du wieder Mom, also halt den Mund. Dann habe ich mir überlegt, ob ich zur Ersten Hilfe im Club gehen soll, Mom.«
    »Sehr gut.«
    »Psst«, macht sie. »Aber stattdessen bin ich lieber zu dem süßen Jungen gegangen und habe ihm gesagt, er soll auf meine Hand pinkeln.«
    »Entschuldige mal …«
    »Ja, Mom. Genau das habe ich zu ihm gesagt: ›Entschuldige mal.‹ Und dann habe ich ihm erzählt, dass ich mich verletzt habe. Er hat gesagt: ›Oh, tut’s sehr weh?‹, als wäre ich gerade mal acht oder so.«
    »Moment bitte«, sage ich. »Kurze Auszeit. Ich bin nicht mehr deine Mutter.«
    »Er hat nicht verstanden«, fährt Scottie unbeirrt fort. »Da habe ich meine Hand auf die Theke gelegt.«
    »Scottie, ich habe gesagt, kurze Auszeit.Was soll das alles? Lügst du? Sag, dass du dir das Ganze ausgedacht hast. Sag mir, dass du eine kreative, fantasievolle, bemerkenswerte junge Dame bist und dass du das alles nur erfindest.«
    Ich habe gelesen, dass Kinder in diesem Alter oft lügen. Ich soll dem Kind sagen, dass Lügen anderen Menschen Schmerz zufügen können. »Hör zu«, sage ich. »Das ist eine Superstory.Wir werden sie deiner Mutter erzählen, aber jetzt mal unter uns - sagst du die Wahrheit?«
    »Ja«, antwortet sie, und leider glaube ich ihr. Ich sage nichts mehr, schüttle nur den Kopf.
    Scottie redet weiter, zuerst vorsichtig, doch dann stürzt sie sich wieder auf ihre Katastrophe. »Er hat wie ein Irrer geflucht. Ich wiederhole lieber nicht, was er gesagt hat. Und dann hat er gesagt, ich soll ins Krankenhaus. ›Oder bist du hier Mitglied?‹, hat er noch gefragt. Er hat versprochen, er bringt mich hin, was ich echt nett fand. Er kam durch die hintere Tür aus seinem Kabuff heraus, und ich ging ihm außen rum entgegen. Ich habe ihm erklärt, was er tun soll und wie man die Stacheln rauskriegt, und er blinzelte tausendmal und fluchte kräftig weiter und kombinierte die Schimpfwörter in allen möglichen Variationen. In seinen Wimpern hing eine Fluse oder irgendwas, die hätte ich gern rausgezupft. Er hat sich nach Hilfe umgeschaut, aber wir waren ganz allein, und ich habe noch mal wiederholt, was er tun soll - du weißt schon. Pinkeln. Aber dann sagte er, dass er in Baywatch mal gesehen hat, wie ein Lebensretter bei einer Frau Gift aus dem Oberschenkel saugt. ›Und dann bekam sie einen Anfall‹, sagte er. ›Ihr Körper hat sich im Sand aufgebäumt!‹«
    So wie Scottie seine Stimme nachmacht, würde man denken, er ist ein kompletter Analphabet.
    »›Ich habe das nicht gelernt‹, sagte er immer wieder. ›Ich verkaufe nur Sonnenschutzmittel, und ich pinkle garantiert nicht auf deine Hand.‹ Aber dann habe ich das gesagt, was du immer zu Dad sagst, Mom, wenn du willst, dass er etwas tut, was er nicht tun will. Ich habe gesagt: ›Sei kein Schlappschwanz‹, und das hat funktioniert. Er hat gesagt, ich soll weggucken und irgendwas sagen oder pfeifen.«
    »Das muss ich mir nicht anhören«, sage ich.
    »Ich bin doch gleich fertig«, jault Scottie. »Also. Um ihn abzulenken, während er pinkelt, habe ich von deinen Motorbootrennen geredet, aber dass du überhaupt nicht wie ein Mann bist, und ich habe ihm erzählt, dass du als Model arbeitest, aber gar nicht zickig bist, und dass alle Typen im Club in dich verliebt sind und dass du nur Dad liebst.«
    »Scottie«, sage ich. »Ich muss kurz aufs Klo.«
    »Okay«, sagt sie. »Ich bin sowieso fertig. Das war doch witzig, oder? War es zu lang?«
    Mir ist kotzübel. Ich muss allein sein.
    »Es ist gut. Es ist klasse. Erzähl Mom, was du mir erzählt hast. Geh rein und red mit ihr.« Sie kann dich sowieso nicht höre n, denke ich. Hoffe ich jedenfalls.
    Ich gehe den Flur hinunter und wünsche mir, jemand würde kommen und mir ein paar Tipps geben. Das kann doch

Weitere Kostenlose Bücher