Mit deinen Augen
Ferien machen, und trinkt ein Glas mit ihnen oder auch zehn, und ich bleibe allein am Tisch zurück, aber es ist irgendwie friedlich. Ich beobachte sie gern mit anderen Menschen. Ich mag ihre magnetische Ausstrahlung. Ihren Mut, ihr Ego. Aber ich frage mich, ob ich diese Dinge nur mag, weil sie im Koma liegt und vielleicht nie mehr so wird wie früher. Schwer zu sagen.
Die Managerin des Restaurants hat sich einmal bei mir bedankt. Sie sagte, Joanie bringe immer Leben in die Bude und die Gäste zum Trinken.
Ich betrachte Joanies Gesicht. Sie sieht so schön aus. Nicht hinreißend, sondern einfach schön. Ihre Sommersprossen schimmern durch das Rouge, ihre geschlossenen Augen sind durch die dunklen, dramatischen Wimpern versiegelt. Ihre Wimpern sind jetzt das einzige ausgeprägte Element in ihrem Gesicht. Alles andere ist weicher geworden. Sie sieht hübsch aus, vielleicht ein wenig zu ätherisch, als wäre sie hinter Glas oder als läge sie in einem Sarg.
Trotzdem bin ich dankbar für Allisons Bemühungen. Ich glaube, meine einzige Aufgabe ist es jetzt, Joanie glücklich zu machen. Ihr genau das zu geben, was sie will, und sie will schön sein.
»Vielen Dank, Allison«, sage ich. »Ich bin sicher, dass Joanie sich freut.«
»Sie freut sich nicht«, entgegnet Allison. »Sie liegt im Koma.«
Ich sehe sie an, schockiert und ein bisschen verwundert.
»Oh, Gott«, murmelt Allison und beginnt zu weinen. »Ich kann’s nicht fassen, dass ich so etwas sage. Ich wollte wie Sie klingen. Es Ihnen heimzahlen. Oh, Gott!«
Sie packt ihre Kosmetiksachen zusammen. Dabei fallen ein paar Pinsel auf den Boden. Ich hebe sie auf, sie schnappt sie mir aus der Hand und geht, schniefend.
»Ach je«, sage ich. »Ich bin ein Arsch.«
»Arsch«, sagt Scottie.
»Ja, genau«, sage ich.
»Du bist ein Dad-Arsch. Wie Blödarsch, nur älter.«
»Ach je«, sage ich.
Ich schaue meine Frau an. Ich brauche dich , denke ich. Ich brauche dich hier, du musst deinen Töchtern und mir beistehen. Ich weiß nicht, wie man mit den Leuten redet. Ich weiß nicht, wie man richtig lebt .
Dann kommt eine Stimme über die Sprechanlage: »Mr. King, Dr. Johnston wird in etwa zwanzig Minuten bei Ihnen sein.«
Scottie schaut zum Lautsprecher, dann zu mir. »Es ist okay«, sage ich. »Alles ist okay.«
8
Ich erlaube Scottie, weiter fernzusehen, und bemühe mich, ruhig und gelassen zu bleiben, aber ich bin viel zu nervös. Ich hoffe immer noch, dass sie etwas zu Joanie sagt. Schließlich spreche ich das Thema noch einmal an.
»Du hast gesagt, du willst Mom etwas erzählen. Ich finde, du solltest das jetzt machen. Geht das? Allison ist weg. Es hilft nämlich. Es hilft Mom.«
Sie schaut zum Bett. »Ich würde’s gern erst mal an dir ausprobieren.«
»Okay. Schieß los. Ich höre.«
»Nicht hier«, sagt sie mit Blick auf Joanie. Sie deutet mit einer Kopfbewegung zur Tür.
Ich stehe auf und bemühe mich, nicht enttäuscht auszusehen. Scottie war ganz unproblematisch, als Joanie die erste Woche hier war, und ich frage mich, was sich verändert hat und was jetzt in ihr rumort. Der Arzt findet ihr Verhalten normal - es sei schwierig, mit jemandem zu sprechen, der nicht antwortet, vor allem mit einem Elternteil -, aber in Scotties Fall ist da noch etwas anderes. Es ist, als fände sie ihr Leben peinlich. Sie denkt, wenn sie mit ihrer Mutter redet, müsste sie etwas unglaublich Tolles sagen. Ich schlage ihr immer wieder vor, sie soll doch von der Schule erzählen, aber Scottie findet das langweilig, und sie will nicht, dass ihre Mutter sie für eine wandelnde Trantüte hält.
Wir gehen hinaus auf den Flur. »Okay. Heute ist der große Tag. Du redest mit Mom.«
»Ich glaube, ich hab’ne ganz gute Geschichte.« Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und hebt die Arme, sodass sie ein O bilden. Sie schwingt ein Bein vor und zurück. Sie nimmt Ballettunterricht, weil ihre Schwester das auch getan hat, aber sie hat nicht die gleiche Anmut, nicht den gleichen Stil. Ihr Clog knallt auf den Fußboden. Plop! Sie schaut nach unten, dann zu mir.
»Beruhige dich. Erzähl mir deine Geschichte.«
»Okay«, antwortet sie. »Stell dir vor, du wärst Mom. Mach die Augen zu und beweg dich nicht.«
Ich schließe die Augen.
»Hi, Mom«, beginnt sie.
Ich will schon Hallo sagen, kann mich aber noch rechtzeitig bremsen. Ich stehe ganz still.
»Gestern habe ich ganz allein das Riff vor dem öffentlichen Strand erkundet. Ich habe massenhaft Freundinnen.
Meine beste Freundin
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