Mit deinen Augen
gelebt als du in einem ganzen Jahrzehnt. Du sitzt nur in deinem Büro und hortest dein Geld.Wenn du ihr ein eigenes Boot gekauft hättest, mit einer soliden Ausstattung, oder wenn du sie immer mal wieder auf eine Shoppingtour geschickt hättest, was Frauen ja so gern machen, dann wäre sie wahrscheinlich nie bei diesen waghalsigen Sportarten gelandet. Oder wenn du ihr zu Hause mehr geboten hättest.«
»Grandpa!«, sagt Alex.
«Und du, Alexandra. Du hast dich mit deiner Mutter gestritten, obwohl sie nur versucht hat, dich ein bisschen in Schwung zu bringen. Joanie war leidenschaftlich! Sie ist ein gutes Mädchen.« Er klingt, als müsste er sie verteidigen. »Ich habe ihr das alles nie gesagt. Aber ich sage es jetzt!«
Scott tritt ans Verandageländer, mit dem Rücken zu uns. Seine Schultern zucken. Er schaut zum Himmel hinauf, die Hände in die Hüften gestemmt, als würde er das morgige Wetter einschätzen. Dann wischt er sich mit seinem Flanellhemd übers Gesicht, hustet und spuckt aus und wendet sich wieder uns zu. »Wollt ihr ein paar Brötchen? Ich habe welche gebacken. Wollt ihr was zu trinken?«
Seine Augen sind glasig, und seine Finger trommeln in den Hosentaschen. Ich finde es gut, wie Männer weinen. So ökonomisch.
»Ja, Scott. Wir hätten gern ein Brötchen und etwas zu trinken.«
Als er ins Haus geht, sehe ich Alex an. »Alles okay? Er ist einfach nur fertig.«
»Ich weiß. Kein Problem.«
Sie sieht aus, als ginge es ihr nicht gut. Grimmige Miene, angespannter Unterkiefer.
»Was passiert eigentlich, wenn ihr das macht?«, fragt sie.
»Wenn wir was machen?«
»Wenn ihr alles abschaltet. Wie lange geht es dann noch?«
Ich habe heute Morgen mit dem Arzt gesprochen, der mir erklärte, dass Joanie ganz gut allein atmen kann und sicher eine Woche durchhalten wird. »Etwa eine Woche, denke ich.«
»Wann geht es los?«
»Sie warten auf uns«, erkläre ich.
»Ach so.« Alex berührt Sids Bein, aber er reagiert nicht.
Scottie und ihre Großmutter kommen mit Blumen in den Händen auf uns zu. Es ist weißer Schmetterlingsingwer.
»Für Grandpa ist es bestimmt schwer, das alles ohne Grandma durchzustehen«, sage ich.
Scottie nimmt ihre Großmutter an der Hand und führt sie die Stufen hoch. Ich weiß nie, was ich zu Alice sagen soll. Unsere Begegnungen sind so ähnlich, wie wenn mir jemand ein Baby hinhält. Da habe ich auch immer das Gefühl, dass alle darauf lauern, wie ich mit dem Kind umgehe.
»Hi, Grandma«, singen Alex und ich.
Sie starrt uns beide böse an. Scott kommt zurück, mit seinen Brötchen und einem Tablett voller Drinks. Scotch on the rocks.
Ich mache mir nicht die Mühe, den Drink wegzunehmen, der für Alex gedacht ist. Ich weiß, dass sie vor meinen Augen keinen Alkohol trinkt. Sid richtet sich abrupt auf und blickt sich um, wie ein Hund, der Speck riecht. Er will nach einem Drink greifen. Ich starre auf seine Hand, die das Glas schon umschließt. Er lässt es wieder los und lehnt sich zurück. Scott funkelt ihn an, und Sid salutiert.
»Wer bist du?«, fragt Scott. »Warum bist du hier?«
»Er ist mein Freund«, sagt Alex. »Er ist meinetwegen hier.«
Scott mustert Sid eingehend, dann dreht er sich zu Alice und reicht ihr ein Glas. »Heute besuchen wir Joanie«, sagt er.
Alice grinst. »Und Chachi?«, fragt sie, als ginge es um die Fernsehserie »Joanie Loves Chachi«.
Sid muss lachen. Scott dreht sich wieder zu ihm und legt ihm schwer die Hand auf die Schulter. Ich bange schon um Sids Leben. »Du bist ganz still, mein Sohn«, sagt Scott. »Ich könnte dich töten. Mit dieser Hand. Diese Hand hat schon einiges hinter sich.«
Ich schüttle den Kopf und sehe Sid und Alex an.
Scott nimmt seine Hand von Sids Schulter und sagt zu seiner Frau: »Nein, Alice. Unsere Joanie. Unsere Tochter. Wir bringen ihr die Dinge, die sie haben will.« Er wirft mir einen vernichtenden Blick zu. »Überleg mal, was sie gern hätte, Alice. Wir bringen ihr alles, was sie möchte, direkt ans Bett.«
»Joanie und Chachi«, trällert Alice. »Joanie und Chachi!«
»Halt den Mund, Alice!«, brüllt Scott.
Alice reagiert so, als hätte Scott gerade »Bitte recht freundlich!« gerufen: Sie faltet die Hände, lächelt und verharrt einige Sekunden in dieser Pose. Er schaut sie an und kneift die Augen zusammen. »Entschuldige«, murmelt er. »Sag ruhig, wonach dir ist.«
»Es war witzig«, sagt Sid. »Ich habe doch nur gelacht. Sie hat Humor. Echt.Vielleicht macht sie ja absichtlich einen Witz. Mir
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