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Mit deinen Augen

Mit deinen Augen

Titel: Mit deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kaui Hart Hemmings
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den Pfad benutzten - als Fluchtweg. Nachdem sie gegen die Regeln verstoßen hatten, nahmen sie den Pfad, um zu überleben.
    »Wie kommt es, dass bei AFV immer das Video gewählt wird, das überhaupt nicht lustig ist?«, fragt Sid.
    »Wovon redest du?«, fragt Alex zurück.
    »Von America’s Funniest Videos . Die Leute wählen immer das langweiligste Video.«
    » AFV ? Du sagst AFV ?«, frage ich.
    »Aber die Videos sind doch alle öde, Sid«, sagt Alex. »Hast du das noch nicht gemerkt?«
    »Stimmt doch gar nicht«, sagt er. »Da irrst du dich gewaltig. Ich lache mich immer kaputt.«
    »Haltet die Klappe, ihr zwei, okay?« Ich mache das Radio aus und fahre an den Straßenrand. Das Haus ist durch Bougainvilleen und eine hohe Steinmauer verdeckt.
    Ich sehe ein Mädchen am Fenster im ersten Stock stehen. Es blickt auf uns herab und verschwindet dann.
    »Das war K«, sagt Alex.
    »K? Wieso K?«
    »Manche Leute wollen das so. David Chang möchte, dass ihn alle Alika nennen. Das ist sein hawaiischer Name. Und K macht einen auf … na ja, sagen wir mal, auf Reduktion. Sie benutzt ihren Nachnamen nicht mehr. Nur den ersten Buchstaben ihres zweiten Vornamens. Ich vermute, sie hat keine Lust, ständig was von Lloyd zu hören.«
    »Sie ist in meinem Kurs für kreatives Schreiben«, sagt Sid. »Weißt du noch - die Party bei ihr, für die sie diese Stripperinnen engagiert hat? Das war vielleicht irre.«
    »Wollt ihr beide mit reinkommen und Hallo sagen, während ich mit Shelley rede?«
    Alex dreht sich zu Sid um. »Ja, klar.«
    Wir steigen aus und öffnen die Holztür in der Mauer, dann gehen wir den Weg zum Haus hinauf. Ich klingle und höre Schritte.
    Die Tochter öffnet, ich winke nur und lasse Alex reden. Sie umarmt K.
    »Bist du wieder hier?«, fragt K. Ihr Blick fällt auf Sid. »Gibt’s was Neues?«
    Sie beugt sich vor, er beugt sich vor, und sie küssen sich auf den Mund. Halbwüchsige Jungen haben es gut. Sie ahnen nicht, dass die Zeit der zwanglosen Zärtlichkeiten schnell vorbei ist.
    »Hallo, Mr. King«, begrüßt mich K. »Lloyd ist nicht da.«
    »Ist er im Büro?«, frage ich. »Schon wieder dabei, die Gesellschaft zu verbessern?«
    »Er ist surfen«, sagt sie. »Gute Brandung.«
    »Ist er nicht gerade erst operiert worden?«
    »Ja, er hat die Hüfte nach Hause mitgebracht. Möchten Sie sie sehen?«
    »Hat er nicht auch ein paar Zehen verloren? Kann er überhaupt noch surfen?«
    »Er gibt nicht auf.« Stolz blitzt auf, dann geht sie einen Schritt beiseite, damit wir eintreten können.
    »Dein Vater ist echt klasse«, sagt Sid, und genau das denke ich auch. Er ist echt klasse. Ich denke an Alex’ Freunde. Ihre Eltern sind riesig - ihre Herkunft und ihre Vergangenheit, ihre Ziele und ihre Leistungen überragen alles.
    Ich frage mich, ob unsere Nachkommen beschlossen haben, lieber vorzeitig aufzugeben. Sie werden niemals Senatoren oder Besitzer eines Footballteams sein; sie werden auch nicht Vorstand von NBC werden oder Gründer der Weight Watchers, Erfinder des Einkaufswagens, Kriegsgefangene oder die weltweit wichtigsten Lieferanten von Macadamia-Nüssen. Nein, sie koksen, kiffen, lernen kreatives Schreiben und lachen uns aus.Vielleicht registrieren sie unseren Erfolgsdrang, aber nachahmenswert finden sie ihn nicht. Ich betrachte die beiden Mädchen: Sie haben Mitleid mit uns, und gleichzeitig wollen sie uns ausstechen, auf ihre Art, die sie allerdings noch nicht gefunden haben. Ich weiß bis heute nicht, wie ich diejenigen, die mich beherrschen, übertrumpfen soll.
    »Ist deine Mom da?«, frage ich K.
    »Sie sitzt auf der Gartenterrasse«, antwortet sie.
    »Ich glaube, auf dieser Insel sitzen alle auf ihrer Gartenterrasse. Ich gehe mal und sage Guten Tag.«
    Die Kinder drängen sich dicht aneinander. Ich gehe ein paar Schritte, dann drehe ich mich noch einmal zu ihnen um. Sie stehen immer noch unten an der Treppe. Ich höre, wie K fragt, »Wollt ihr mein Kleid für den Abschlussball sehen? Es ist echt nuttig«, und dann erzählt Alex von ihrer Mutter, und ich frage mich, ob K - ob alle Kinder - von der Affäre meiner Frau wissen.
    Shelley sitzt unter einem beigefarbenen Sonnenschirm. Auf dem Tischchen neben ihr warten ein Aschenbecher und ein Kreuzworträtsel. Sie trägt einen schwarzen Badeanzug unter einem schwarzen, durchsichtigen Kaftan. Als sie mich sieht, schlägt sie sich die Hand vor die Brust. »Du hast mich zu Tode erschreckt!«, ruft sie und holt mit der Zeitung nach mir aus. Ihr Gesicht ist braun

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