Mit dem falschen Bruder im Bett
unerklärliche Gewissheit, dass sie ihn brauchen würde.
Vielleicht war es auch so eine Art Zwillingstelepathie oder sowas.
Melina hatte eindeutig ihre Beziehungsprobleme Max im Vertrauen mitgeteilt und ihn um Stillschweigen gebeten. Die Vorstellung, dass entweder Melina oder Max Geheimnisse vor ihm hatten, war beunruhigend, aber nicht überraschend. Warum sollte sie ihm vertrauen, wenn er immer sein Bestes getan hatte, sie wegzustoßen?
Noch viel beunruhigender war die Vorstellung, dass ihr Ex sie verletzt hatte.
Besitzansprüche durchfluteten hin, aber er konnte sie leicht beiseiteschieben. Darin hatte er ja viel Übung. Melina war zwar nicht die Seine, aber sie war doch jemand ganz Besonderer für ihn. Wenn jemand sie verletzt hatte, auch wenn es nur ihr Stolz war, würde derjenige dafür bezahlen müssen. Dafür würde er, Rhys, sorgen.
„Entschuldigen Sie?“
Beim Klang der sanften, weiblichen Stimme sah Rhys auf. Es war die Blondine von der Bar. Stirnrunzelnd schaute er über die Schulter, konnte aber kein Anzeichen von Max entdecken.
„Ihr Bruder erzählte mir von ihrer Aufführung. Er holt gerade sein Auto. Ich fragte mich, ob Sie wohl Gesellschaft wollten. Meine Freundin Jocelyn dort drüben“, und sie deutete auf eine bohnenstangendünne Brünette, die an der Bar saß und sie beobachtete, „ist ein Püppchen, und ich fühle mich schrecklich, weil ich sie alleine gelassen habe.“
Aber sie wär‘ schon recht, dachte Rhys und versuchte, den Geschmack seines Bruders was Frauen betraf nicht zu beurteilen. Er selbst hatte eine Menge schlechter Entscheidungen in seinem Leben getroffen, deshalb hatte er kein Recht, irgendjemanden zu verurteilen. Kopfschüttelnd begann er aufzustehen. „Es tut mir Leid, aber ich wollte gerade …“
„Hallo!“ Die Brünette kam zu seinem Tisch und streckte die Hand aus. „Ich bin so aufgeregt, Sie zu treffen. Ich finde Ihre Zaubershow absolut toll! Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich anschließe?“
Seufzend setzte sich Rhys in seinem Stuhl zurück und beobachtete, wie die Blondine zurückging, winkte und schnurstracks auf den Ausgang zusteuerte, wahrscheinlich um seinen Bruder zu treffen. Er konzentrierte sich auf die Brünette. Sie war ganz schön herausgeputzt, gut in Form und hatte ein charmantes Lächeln, aber er wollte einfach nur ins Bett gehen. Allein. Das Letzte, was er wollte, war, ausgerechnet jetzt über Zauberei zu sprechen. Aber er wollte auch nicht einem Fan gegenüber unhöflich sein. „Also wo haben Sie die Aufführung gesehen?“, fragte er und zeigte dem Kellner an, dass er noch ein Bier wollte.
***
Als Melina das Hotelzimmer betrat, hatte sie halb erwartet, dass Max es speziell hatte herrichten lassen. Kerzen. Blumen. Irgendetwas. Aber es war in ganz normalem Zustand, die Betttücher straff gezogen und die Handtücher im Badezimmer sauber gefaltet, was zeigte, dass das Zimmermädchen gekommen und wieder gegangen war. Melina stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
Max hielt sich also an den Plan, machte dieses Wochenende genau zu dem, was sie wollte, eine direkte Lehrstunde und nicht etwas, das einem romantischen Rendezvous oder einer unechten Verführung ähnelte. Wenn eine Frau dich bat, ihr zu zeigen, wie man einen Mann zufriedenstellt, dann war ja eigentlich sehr wenig Verführung notwendig. Etwas anderes vorzugeben hätte sie veranlasst, sich noch befangener und gehemmter zu fühlen.
Als sie ihre einzige Tasche aufs Bett stellte, bemerkte sie, dass Max auch mit recht wenig Gepäck unterwegs war. Ein Koffer in der Ecke, zusammen mit dem vertrauten Zauberkasten, der seine Karten und andere kleinere Zaubertricks enthielt. Ein übler Drang, den Kasten zu öffnen und seine Sachen zu durchstöbern, überkam sie, aber selbstverständlich tat sie das nicht. Die Tricktasche eines Zauberers war sein allerheiligster Besitz. Weder Max noch Rhys hatten jemals die stillschweigende Übereinkunft der Zauberer gebrochen und ihr verraten, wie ein Trick durchgeführt wurde.
Natürlich hatte sie ihre eigenen Recherchen im Internet betrieben, ihnen jedoch nie etwas davon gesagt. Sie wären entsetzt gewesen. Mit professionellen Zauberern als Eltern aufzuwachsen, hatte dazu geführt, dass Max und Rhys nicht nur leidenschaftlich gegenüber ihrer Kunst waren, sondern auch geheimnistuerisch auf vielfältige Art und Weise. Sie redeten so, als glaubten sie tatsächlich, dass es möglich war, Karten von der Bildfläche verschwinden zu
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