Mit dem Teufel im Bunde
stehe die ältere in der Reihe der Erben an erster Stelle.
Das alles erscheine ihm recht kompliziert und unwahrscheinlich, hatte Wagner eingewandt. Außerdem gebe es in solchen Häusern über solcherlei Dinge immer irgendwelche Papiere. Wenn sie noch nicht gefunden seien, gäbe es entweder keine, oder sie würden bald auftauchen. Zu bedenken sei allerdings, ob es welche gäbe und jemand sie
verberge
. Im Übrigen wäre er dankbar, wenn Rosina ein wenig mehr über Mademoiselle Juliane herausfände.
Das hatte Rosina vor. Dummerweise kannte sie sie nicht, es war höchst unpassend, einfach an die Tür zu klopfen und sie bei einer Plauderei oder – angemessener – einem Kondolenzbesuch
en passant
auszuhorchen. Man würde sie, eine Unbekannte, in diesen Trauertagen gar nicht erst vorlassen. Beim Frühstück, als Magnus ihre Einsilbigkeit bemerkte, sie ihren Gedanken überließ und sich einer Zeitung widmete, hatte sie nach einem anderen Weg gesucht. Ihr war nur einer eingefallen, ein Umweg, der nicht zum Ziel, doch in dessen Nähe führte – und wieder direkt in die Katharinenkirche. Zu Taubner.
Und dann? Egal, irgendetwas würde sich schon ergeben. Das geschah immer, wenn man etwas unternahm, anstatt zu zögern und zu grübeln. Wie sprach man einen fremden Mann an? Wie verwickelte man ihn in ein Gespräch? Jean fiel ihr ein, ihr Prinzipal, und sie lächelte. Es war ganz einfach: Man sprach ihn bewundernd an. Liebten es nicht alle Männer, von ihren wichtigen Tätigkeiten zu reden? Alle – bis auf Magnus. Leider. Brauchten sie nicht unbedingt eine Verschönerung ihres bescheidenen Salons? Zum Beispiel mit einer Stuckverzierung der Decke? Unbedingt.
Es war still in der Katharinenkirche. Nur ein Geräusch von jenseits des Lettners verriet, dass dort mit einem Reisigbesen ausgekehrt wurde. In einer der vorderen Bänke saßen zwei bäuerliche Frauen mit gebeugten Köpfen ins Gebet vertieft, unter der nördlichen Seitenempore hockte ein alter struppiger Mann im schäbigen Rock, dessen Anblick Rosina im ersten Moment erschreckte. Sein dünner Körper war zur Seite gesunken, sein Kinn lag auf der Brust – genau so mochte die unbekannte Tote unter der südlichen Empore gefunden worden sein. Da räusperte sich der Alte schnarrend, rappelte sich steif auf und humpelte unwillig murmelnd zum Portal.
Die beiden Männer bei der dem Lettner am nächsten stehenden Säule der rechten Reihe, Meister Taubner und sein Gehilfe Henrik, waren zu sehr in ihre Arbeit vertieft, um ihn oder Rosina zu beachten. Sie versuchte, den Stuckator mit anderen Augen zu sehen. Hatte sie ihn beim ersten Mal, in der Stunde vor dem Kaffeekränzchen bei Anne und Madam Augusta, nur als den Stuckator betrachtet, der im Auftrag der ermordeten Sibylla van Keupen arbeitete, sah sie ihn nun als einen Mann, der das Herz der verschlossenen Juliane van Keupen berührt hatte.
Zumindest war er keiner, den man so einfach übersah. Er war von noch schlanker, doch kräftiger Statur, das energische Kinn und die breite Stirn ließen ihn entschlossen undtatkräftig wirken, sein dunkelblondes, im Nacken straff gebundenes Haar war noch dicht und nur an den Schläfen ergraut. Er bewegte sich wie einer, dessen Körper keine Trägheit kennt – falls er auch eine volltönende Stimme hatte, taugte er auf der Bühne durchaus als Heldendarsteller.
Als sie näher kam, musterte er sie flüchtig und wandte sich gleich wieder seiner Arbeit zu. Sein Blick war alles andere als einladend gewesen. Doch dies war kein Schauspiel, hier war sie nicht die sehnende Heldin und er nicht das Ziel dieser Sehnsucht. Hier galt ein anderes Ziel. Sie zauberte einen bewundernd-schüchternen Ausdruck in ihre Augen, legte den Kopf mädchenhaft schief, hob die ineinandergelegten Hände vor die Brust und trat mit den kleinen Schritten einer wohlerzogenen Dame vor das Gerüst an der Säule.
Taubners junger Gehilfe hatte an dem Tisch mit den Farben, mit Wasser und mit Leim gefüllten Behältnissen, einem offenen Kasten mit den nötigen Utensilien und einigen mittelgroßen Tonnen für Gipspulver, Kalk und Sand gelehnt und seinem Meister bei der Arbeit zugesehen. Auf einem zweiten Tisch klebten Reste von Stuckmasse. In Henriks weißblondem, im Nacken in einem staubigen schwarzen Haarbeutel gefasstem Haar klebten Bröckchen von Gips. Nun beugte er grüßend den Kopf, murmelte ein höfliches «Madam» und sah sie fragend an. Doch Rosina blickte zu Taubner auf seinem Gerüst hinauf. Es war nicht einfach,
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