Mit dem Teufel im Bunde
sie so harmlos wirkte und so geschickt zu lügen verstand, wenn es die Situation erforderte. Sie bezeichnete es lieber als ‹Komödie spielen›.
Der mächtige Klang der Orgel setzte zum letzten Lied ein und holte ihre Gedanken in die Kirche zurück, als die Gemeinde zu singen begann – «Herzlich tut mich verlangen nach einem sel’gen End …» –, stimmte auch sie mit schlechtem Gewissen ein.
«Du Sünderin», flüsterte Magnus nach der sechsten Strophe. «Du warst mit deinen Gedanken ganz und gar nicht hier.»
Bevor die Menge sich in alle Richtungen auflöste, blieben wie stets nach dem sonntäglichen Gottesdienst viele der Besucher im Kirchhof stehen. Man begrüßte Freunde, Nachbarn und Bekannte, sprach über die Predigt, tauschte den neuesten Klatsch oder Klagen über Zipperlein und ernstere Krankheiten aus. Die Damen führten ihre besten Kleider spazieren und präsentierten ihre Kinder. Magnus und Rosina begrüßten zuerst die Herrmanns’ als ihre vertrautesten Freunde. Madam Augusta war leider in ihrem warmen Salon geblieben, Rosina hätte sie gerne nach der geheimnisvollen Erpressungsgeschichte gefragt. Womöglich hatte sie sich genau das vorgestellt und deshalb vorgezogen, dem Gottesdienst fernzubleiben.
Anne Herrmanns war bester Stimmung. Ihr Gesicht mit den wachen graugrünen Augen, der energischen Nase und dem für den Geschmack der Zeit zu großen Mund zeigte noch eine leichte undamenhafte Bräune, das Ergebnis arbeitsamer Stunden in ihrem geliebten Garten an der äußeren Alster. Sie bewunderte Rosinas Pelzschal, er sei so schön und kostbar, um vor Neid zu erblassen. Rosina teilte diese Meinung ohne jeden Vorbehalt, es war nicht nötig,Magnus’ Geschenk mit dem schwarzschimmernden Pelzfutter von Annes Mantelumhang zu vergleichen.
Dann hatten es alle eilig, sich zu verabschieden, vom Hafen wehte ein eisiger Wind. Madam Bocholt wickelte sich fest in ihren Mantel, blinzelte zum grauen Himmel empor und prophezeite für den Nachmittag, spätestens für die Nacht ersten Schnee. Was Madam van Witten, die gerne bis zur Unhöflichkeit ihre Gedanken preisgab, für übertrieben hielt, aber die liebe Bocholtin sei ja schon immer eine Kassandra gewesen, und Anne erschreckt erklären ließ, sie müsse noch heute in ihren Garten, die Rosenstöcke seien für so winterliches Wetter völlig ungeschützt. Beim Abschied flüsterte sie Rosina zu, sie erwarte dringend ihren Besuch. Es müsse doch inzwischen Neuigkeiten zu Madam van Keupens Tod geben, sie sterbe vor Neugier. Es gehe nicht an, dass Rosina ihre Geheimnisse nur Magnus anvertraue, fügte sie mit einem fröhlichen Zwinkern hinzu, schließlich sei ihre Freundschaft viel älter und erprobter.
Rosina lachte mit ihr und fühlte sich doch ertappt. Seit sie mit Magnus lebte, traf sie Anne tatsächlich seltener als vor ihrer Ehe. Sie nahm sich vor, das zu ändern. Sie liebte Anne nicht nur als Freundin, sie hatte ihr auch viel zu verdanken. Die vornehme Madam Herrmanns hatte aus ihrer ungewöhnlichen Freundschaft nie einen Hehl gemacht und war immer zur Stelle gewesen, wenn sie Unterstützung brauchte. Es war stets Rosina gewesen, die auf den nötigen Abstand zwischen der Gattin des Großkaufmanns und ihr, der Komödiantin, geachtet hatte.
«Lass uns noch ein Stück spazieren gehen», schlug sie Magnus vor. «Es ist kalt, aber die frische Luft wird uns guttun.»
Magnus wäre lieber ins Warme zurückgekehrt, doch er wusste zu gut, dass Rosina die Stubenhockerei unruhigmachte. Sie war so lange an ihre Reisen durch das Land gewöhnt gewesen, die Enge der Stadt bedrückte sie, wenn sie nicht ab und zu kräftig ausschreiten konnte.
Nach wenigen Minuten blieb Rosina bei der Abzweigung einer Gasse stehen und bog nach kurzem Zögern ein. Es war nicht weit von ihrem Zuhause, gleichwohl konnte Magnus sich nicht erinnern, je durch sie gegangen zu sein.
Die Lembkentwiete war eng und düster, genauso sahen die meisten ihrer Häuser aus. Rosina blieb vor einem stehen, auf das Schild über der Tür zum Souterrain hatte jemand vor ziemlich langer Zeit
Zum Himmel
gemalt.
«Ich muss dort hinein», sagte sie, «nur ganz kurz.»
Magnus sah sie ungläubig an. «In diese Kaschemme? Was sollen wir da? Gegen die ist Jakobsens
Bremer Schlüssel
ein Palast.»
«Na ja», sagte Rosina, den Blick fest auf die Tür geheftet, «nicht wir, ich. Natürlich bin ich dankbar, wenn du auf mich wartest. Es dauert nur ein paar Minuten.»
«Das kommt überhaupt nicht in Frage. Du
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